„Du musst schreiben, den Rest machen wir“

Vom 8. bis 11. Oktober 2021 trafen sich fünf nominierte Autor*innen mit Fachleuten des Theaters in einem gemeinsamen Intensiv-Workshop für den „berliner kindertheaterpreis“, der seit 15 Jahren gemeinsam von GRIPS und GASAG ausgelobt wird. Ein Blick hinter die Kulissen verrät das Erfolgsrezept.

Anfang September kam das mit dem „berliner kindertheaterpreis 2019“ ausgezeichnete Stück DAS LEBEN IST EIN WUNSCHKONZERT von Esther Becker im GRIPS Theater zur Uraufführung, in der Regie von Frank Panhans, Publikum und Presse waren und sind begeistert. Bereits seit 15 Jahren gibt es diesen Wettbewerb, mit dem neue Talente für das Kindertheater gesucht, gefunden und gefördert werden. Mit Erfolg, Kirsten Fuchs und Milena Baisch, aber auch Kristo Šagor, Thilo Reffert, Jan Friedrich u.a. konnten damit nicht nur für das GRIPS, sondern insgesamt für das deutschsprachige Kindertheater gewonnen werden. Vom 8. bis 10.10.2020 trafen sich die für den „Berliner kindertheaterpreis 2021″ Nominierten Fabienne Dür, Clara Leinemann, Manuel Ostwald, Kirsten Reinhardt und Vera Schindler zum zweiten Workshopmodul des Wettbewerbs. Ende Januar 2021 müssen sie ihre Stückentwürfe der Jury vorlegen, am 20. April 2021 werden im Rahmen einer festlichen Preisverleihung beim Fachfestival AUGENBLICK MAL die Preisträger*innen 2021 bekannt gegeben.

GRIPS-Dramaturgin Ute Volknant und GASAG-Sponsoringreferentin Birgit Jammes waren beide von Beginn bei der Konzeptionierung und bei der stetigen Weiterentwicklung dieses Wettbewerbs mit dabei. Wir wollten von beiden wissen: Was war und ist wesentlich, dass der „berliner kindertheaterpreis“ sich zu so einer Talentschmiede für das deutschsprachige Kindertheater entwickeln konnte?

GRIPS:        Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit Autorinnen und Autoren für das Kindertheater gewonnen werden? Was brauchen diese, damit Texte zustande kommen, die dann auch auf der Bühne funktionieren?

U. Volknant:     Jede*r braucht natürlich was anderes und es gibt auch den Theaterautor, die -autorin, der oder die Zuhause alleine für sich geniale Stücke schreibt. Ich würde behaupten, das ist eher die Ausnahme. Der oder die Dramatiker*in lebt ja mehr von der Kommunikation als ein Romancier oder Erzähler*in. Ein Theaterstück wird ja erst durch die Inszenierung im Theater zum Leben erweckt. Das Erlebnis, das die Zuschauer*innen haben, ist nicht nur das Produkt einzelner Meschen, sondern von vielen unterschiedlichen Künstler*innen und Mitarbeiter*innen aus den Werkstätten, die gemeinsam Theater erschaffen. Der Text ist nur ein Teil des Werkes. Wir hatten ja Anfang September die Uraufführung des letzten Siegerstücks, DAS LEBEN IST EIN WUNSCHKONZERT von Esther Becker, das ist wirklich so ein Glücksfall, wo alles perfekt gepasst hat. Auch die Schauspielerenden lieben das Stück, weil es nicht nur etwas zu sagen hat sondern auch gute Rollen enthält, spannende Figuren, denen man gerne zusieht. 

Junge Autorinnen und Autoren kennen oft das Theater gar nicht von innen, sie wissen nichts oder wenig über die Produktionsbedingungen oder von ihrem Publikum. Oder welche Bedürfnisse ein Theater hat, das sind oft ja auch ganz banale wie die Begrenzung der Rollen, weil das Ensemble klein ist. Oder: Wie groß die Bühne ist, wie welches Zielpublikum die jeweilige Bühne anspricht.

Unser „kindertheaterpreis“ hat sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass mittlerweile Autorinnen und Autoren hier zusammenkommen, die bereits das Handwerk des Schreibens gelernt haben. Für sie ist aber das Schreiben speziell für das Kinder-Theater neu und eine große Herausforderung, vor der viele Respekt haben, und das zu recht.

Was wir als Theater beitragen können, ist, dass wir aus dem Nähkästchen plaudern, wir erzählen davon, was den Alltag von Theater ausmacht. Sie kommen bei uns mit Fachleuten aus der Dramaturgie, Regie, Theaterpädagogik und mit Schauspielende ins Gespräch, sie erleben ihre Texte szenisch gelesen, erleben, ob, was und wie auf der Bühne funktioniert. Und ganz wichtig ist, dass sie bei uns in Kontakt mit ihrem Publikum im Rahmen von Schulbesuchen kommen. Wenn sie ihre Stücke im Klassenzimmer vorlesen und mit den Kindern sprechen können, bekommt bestimmt die Hälfte der nominierten Autorinnen und Autoren richtig einen Flash beim Schreiben, dieses hautnahe Feedback ist oft wesentlich. Aber auch einfach nur in einer Schule zu sein und zu beobachten, ist schon Gold wert, da allein kann schon eine Stückidee entstehen. 

Auch die Expert*innen für Kindheit, die wir für unsere Workshops engagieren, sind wichtig, wie zum Beispiel der Kinder- und Jugendpsychotherapeut Georg Piller, der selbst auch Autor ist und schon Stücke fürs GRIPS geschrieben hat. Er kann sehr genau sagen, was für Sechsjährige geht und was nicht. Im Gespräch mit ihm werden Fragen aufgeworfen, zB: ‚Du willst über den Tod schreiben? Dann überlege vorher: Wenn ein Kind noch nicht mal die Uhr lesen kann, wie soll es da einen Begriff von Zeit und Endlichkeit haben?’ 

Oder auch: was brauchen Schauspielende, was sind aus deren Sicht gut angelegte Figuren? Das ist wirklich sehr wertvoll, von Schauspielenden selbst zu hören, wie die sich Figuren aneignen, wie sie ihre Figuren finden.  Und: Es braucht ein vertrauensvolles Verhältnis für die Zusammenarbeit mit Künstler*innen, das gilt auch für so sensitive Menschen wie Autor*innen es nun mal sind. Das ist der Vorteil unseres auf zwei Jahre angelegten Wettbewerbs, da entwickeln alle ein sehr persönliches Verhältnis zueinander. Die zwei Workshopmodule, die jeweils über drei Tage gehen, sind intensive Arbeits- und Kennenlernphasen, man redet, diskutiert, tauscht sich aus, das gibt die Basis für die gemeinsame Arbeit bis hin zur Preisverleihung und zur Uraufführung des Siegerstücks. 

Wichtig ist übrigens auch, dass wir den Nominierten mittlerweile eine Art Stipendium zahlen, so dass sie sich die Teilnahme an den Workshops auch leisten können. Das war uns wirklich wichtig, da man damit auch die Arbeit des Schreibens anerkennt, aber auch, dass es den nominierten Autorinnen und Autoren ganz praktisch möglich ist, teilzunehmen. 

B. Jammes: Es ist nicht nur die Bezahlung, sondern das geballte Fachwissen, das ihr gebt. Toll fand ich auch bei allen Workshops, dass trotz der Konkurrenzsituation – es ist ja immerhin ein Wettbewerb – alle Teilnehmenden immer auch im freundschaftlichen Austausch mit- und untereinander waren, und auch das als sehr wertvoll, befruchtend, inspirierend, als Gewinn beschrieben haben. Ihr habt da wirklich einen tollen Rahmen geschaffen. 

U. Volknant: Das ist aber auch nötig, ohne das funktioniert dieser Wettbewerb nicht. Es ist ja immer etwas Intimes, wenn man seinen Text, dazu noch einen unfertigen, vorstellt, den auch noch in einer Runde preiszugeben, die man ja zu Beginn gar nicht kennt, dafür muss man wirklich einen guten Rahmen und Raum dafür schaffen, der diese Intimität und das Vertrauen ermöglicht. Auch ich als Dramaturgin genieße diesen Raum der Workshoptage, denn ich kann drei Tage mich selbst ganz und gar darauf einlassen, so viel Zeit habe ich in meinem Alltag nie, mich direkt mit Autor*innen und externen Fachleuten auszutauschen. So kann Kreativität gedeihen. Rinus Silzle, einer der Nominierten von 2019 und ein ganz wundervolles Talent, traute sich zunächst nicht, sich beim „kindertheaterpreis“ zu bewerben, weil er keine Ahnung von Sechsjährigen hatte, meinte er. Aber wir als GRIPS haben das und geben ihm die Möglichkeit, dieses Know-How für sein Schreiben zu nutzen. Das ist es eben: Er kann schreiben, für den Rest sorgen wir! Wir kennen unser Publikum und die Theaterpraxis, das können wir geben. Und ich hoffe übrigens wirklich, dass andere Häuser sein Stück über drei sehr ungleiche Geschwisterkinder entdecken werden.

Ein Ziel ist es bei unserem „kindertheaterpreis“, Autor*innen zu finden, die man langfristig ans Haus bindet. Kirsten Fuchs ist zum Beispiel so eine Autorin, die seit ihrer Teilnahme am Wettbewerb viel für uns und auch andere Häuser geschrieben hat. Oder Milena Baisch, deren Stück „Laura war hier“ nicht nur am GRIPS, sondern auch in Dresden inszeniert wurde. Aber auch Thilo Reffert oder Kristo Šagor waren irgendwann einmal bei uns im Wettbewerb und haben davon profitiert. Uns freut es wirklich sehr, wenn Autor*innen, die beim „kindertheaterpreis“ mitgemacht haben, dann auch für andere Häuser schreiben. 

B. Jammes: Das Gute ist, dass ihr jetzt aus einen Fundus an Autor*innen wählen könnt, je nach dem, was es für ein Projekt werden soll.

U. Volknant: Die Palette wird dadurch auch vielfältiger, denn es gibt ja nicht nur das eine perfekte Stück, sondern man will ja eine Vielfalt und unterschiedliche Facetten, eine breite Palette unterschiedlicher Ästhetiken. Die einen lieben den direkten Dialog, die anderen gehen eher über das Erzählerische, das ist das Spannende und tut dem GRIPS gut. 

GRIPS:        Eine Frage an Ute Volknant: Was ist 1.) das Besondere am Schreiben fürs Theater und was ist 2.) das Entscheidende am Schreiben fürs Kindertheater? Welche Talente muss man dafür mitbringen, worin liegt der entscheidende Unterschied zwischen dem Schreiben für die Epik oder Dramatik?

U. Volknant: Bei Autor*innen, die die Dramatik noch nicht kennen, die von der Prosa, vom Erzählerischen kommen, ist der wichtigste Schritt, ihnen ein Stück weit Verantwortung zu nehmen. Sie müssen realisieren, dass der Stücktext nur ein Teil des Weges ist. Damit will ich ihn nicht klein machen, ein guter Stücktext, das ist die Basis und Voraussetzung für einen gelingenden Theaterabend. Aber bei einem Stücktext kommt ja noch die Probenphase dazu, die Inszenierung, das Visuelle, das Akustische – dass sie darauf vertrauen können, dass sie nicht alles aussprechen oder beschreiben müssen. Im Roman muss ich alles, von dem ich will, dass es im Kopf des Lesers entstehen soll, aussprechen. Im Theater ist oft weniger mehr. Ein guter Text ist ein Text, der Schauspielern Luft zum Atmen lässt, ihnen ermöglicht, ihre eigene Figur und Tonalität zu finden, zu experimentieren, in welche Richtung die Figur gehen könnte. 

GRIPS:        Und was ist der Unterschied zum Schreiben für das Kinder-Theater?

U. Volknant: Was uns vom Erwachsenenbereich unterscheidet, ist natürlich das Publikum: Das Publikum ist viel kritischer und enorm begeisterungsfähig. Wir im GRIPS stehen in regem Austausch zu unserem Publikum, nicht nur im Zuschauersaal. Viele denken oft, die Altersempfehlungen zu unseren Vorstellungen beziehen sich auf die mutmaßliche Intelligenz. Was für ein Blödsinn, Kinder sind immer schlauer. Uns geht es darum, in welcher Lebenswelt stecken Kinder in einem bestimmten Alter, was interessiert sie, was treibt sie um, welche Sorgen und Träume haben sie? Darum geht es beim Schreiben für Kinder. 

Bei uns muss man sich außerdem vergegenwärtigen, dass wir überwiegend Erstbesucher bei uns im Theater haben, also junge Menschen, die hier erstmal die Unterscheidung zwischen Kino, Fernsehen und Theater lernen. Das ist wirklich nicht selbstverständlich, dass man weiß, dass Theater live und mit lebendigen Menschen auf der Bühne ist. Natürlich muss man sich auch fragen, welche Abstraktionen in den künstlerischen Mitteln Kinder verstehen können, aber man staunt da oft, was Kinder für sich übersetzt bekommen oder als selbstverständlich nehmen. 

B. Jammes: Man darf Kinder ja auch nicht unterschätzen und man darf sie gerne herausfordern.

U. Volknant: Das wichtigste ist, dass du Kinder auf eine emotionale Reise mitnimmst. Und wenn Kinder etwas nicht verstehen, fragen sie nach, wenn ihnen etwas nicht gefällt, teilen sie das sehr deutlich mit. Auch das Gegenteil ist der Fall, wenn ihnen etwas gefällt, dann teilen sie auch das sehr lautstark mit. Das ist vielleicht der große Unterschied zum Erwachsenen-Publikum. Und das müssen Autorinnen und Autoren, die für das Kindertheater schreiben möchten, wissen: Sie bekommen das dankbarste und begeisterungsfähigste Publikum, das man sich nur vorstellen kann. 

Die Fragen stelle Anja Kraus (PR | Pressearbeit im GRIPS)

Titelfoto: Die Nominierten des aktuellen Wettbewerbs: Manuel Ostwald, Clara Leinemann, Vera Schindler, Fabienne Dür, Kirsten Reinhardt (v.l.n.r.) | @ David Baltzer/bildbuehne.de