„Sei ehrlich mit dir, selbst wenn du dich selbst belügst“

Autor Zoran Drvenkar über Lebenslügen und Lebensaufgaben und wie sich seine Figuren entwickeln – Teil 2 eines Gespräches mit dem Dramaturgen Tobias Diekmann

GRIPS: Lieber Zoran, Du hast mir mal in einem Interview an anderer Stelle gesagt, der Ausgangspunkt deiner Geschichten ist die Liebe zu den Charakteren. Wodurch wurde die Liebe für „Kai“ und „Opa“ entflammt? 

Zoran Drvenkar: Da war eine Idee und die wuchs aus dem Roman „Auch Geheimagenten brauchen Schlaf“ von Gregor Tessnow heraus. In einer Szene sitzt Kai gefesselt auf dem Boden und wartet, dass ihn sein Großvater entdeckt und befreit. In Gregors Roman war der Großvater ein General und begann langsam sein Gedächtnis zu verlieren. Eine wunderbare Szene, und ich habe sie mir geschnappt und das Theaterstück damit eröffnet, ohne zu wissen, wohin die Geschichte gehen sollte. Dadurch flogen alle Türen auf und die Charaktere begannen ein neues Leben. 

GRIPS: Wie haben dich die beiden Figuren dann durch die Geschichte geführt? Wie hat sich das angefühlt? Gab es für dich auch Überraschungen oder schmerzhaften Erfahrungen und Begegnungen auf der Reise?

Zoran Drvenkar: Mir war beim Schreiben bewusst, dass irgendwas mit Opa nicht stimmte, mir war aber nicht klar, ob Kai das auch wusste oder wieviel er davon verstand. Dass Opa mit gezinkten Karten spielte und seine Vergangenheit neu erfand, damit habe ich nicht gerechnet, und das war eine große Überraschung. Also begann ich zu erforschen, was Opa verheimlicht, und was die Wahrheit ist. Erst beim Schreiben deckte ich dann seine wahre Geschichte auf, und so gelingt es auch Kai, sie im Verlauf des Stückes aufzudecken. Wir zwei haben so gesehen Hand in Hand gearbeitet. 

GRIPS: Du hast einmal gesagt: „Wenn du dich beim Schreiben auf alte und junge Erzählperspektiven einlässt, kommst du dir selbst in Etappen näher.“ Wie nah bist du Kai und Opa gekommen?

Zoran Drvenkar: Kai verstand ich recht schnell. Er hat seinen Hunger nach Abenteuer und das Verlangen, wie Opa zu sein – ein Held unter Helden. Ohne jegliche Zweifel hat er Opa alles geglaubt. Ich mag dieses Urvertrauen eines Kindes, darum war es mir auch wichtig, ihn stürzen zu lassen. Nicht, um ihm die Realität reinzureiben, sondern weil ich sehen wollte, wie er mit der Wahrheit klarkommt.

Dann war da Opa und seine verborgene Geschichte. Auf eine gute Weise konnte ich auch seine Seite verstehen. Warum sollte irgendjemand an einer Vergangenheit festhalten, die mies und unerträglich war? Warum sollte er die Erinnerung daran weitergeben und anderen damit Angst machen? Dann aber kam während des Schreibens das Begreifen, dass niemand was hat von einer rosig gespülten Erinnerung. Niemand lernt davon, niemand kann sie als bare Münze am Ende des Tages eintauschen und dafür etwas bekommen, das nicht hohl und albern ist. Sich der Wahrheit zu stellen, so mies und unerträglich sie auch ist, ist nicht nur die Aufgabe für jeden selbst, sondern auch die Aufgabe für die Leute um einen herum, die verstehen und dazulernen wollen. Und da ich davon ausgehe, dass es ein großes Ziel ist, zu verstehen und dazuzulernen, ist es eine Schweinerei, die Klappe zu halten und sich auf den Lorbeeren auszuruhen, die niemand sehen darf, weil sie stinken. Dabei soll jetzt von mir nicht der Pädagoge rausgekehrt werden. Es geht mir um das Menschliche, das menschlich gesehen werden will, mit all seinen Erfolgen und all seinem Versagen. 

GRIPS: Wie würdest du die Beziehung von Kai und Opa beschreiben? Welche Eigenschaften bringen die beiden mit sich?

Zoran Drvenkar: Vollkommenes Vertrauen basierend auf einer gewaltigen Lüge basierend auf einer Liebe, die nichts ins Schwanken bringen kann.

GRIPS: Was würde der 100-jährige Opa seinem 14-Jährigen Ich nach seinen Erfahrungen mit auf den Lebensweg geben?

Zoran Drvenkar: Er würde sagen: „Was du auch tust, lass dich beim Lügen nicht erwischen. Was du auch tust, tu niemanden mit deinen Lügen weh. Und was du auch tust, sei ehrlich mit dir, selbst wenn du dich selbst belügst.“

Im Teil des Gesprächs verrät Zoran Drvenkar uns seine „1.000 Millionen Erinnerungen“

Alle Fotos von David Baltzer | Bildbühne.de