Dieses Minidrama ist im Rahmen des 20-jährigen Jubiläums des Berliner Kindertheaterpreises von GASAG und GRIPS entstanden. In Workshop-Formaten erarbeiteten die Autorinnen und Autoren mit Theaterpädagogik, Schauspiel und Dramaturgie ihre Texte. Die vom Künstlerinnenkollektiv hannsjana inszenierte Jubiläumsgala am 07.05.2025 präsentiert mit diesen 5 Minidramen 5 Autor*innen aus 20 Jahren Berliner Kindertheaterpreis.
Personen sind Jelly (10 Jahre) und ihr kleiner Bruder Hosenscheißer (6 Jahre). Nach Berlin gekommen, als Jelly 6 Jahre und Hosenscheißer 2 Jahre war. Ort ist ein Bushaltestellen-Häuschen in Berlin.
Hosenscheißer
Mama sagt, wenn du heute nicht in die Schule gehst, wirst du dein blaues Wunder erleben.
Jelly
Warum blaues Wunder, und nicht grünes oder gelbes Wunder?
Hosenscheißer
Das sagt man so auf deutsch.
Jelly
Klappe Hosenscheißer.
Hosenscheißer
Mama hat verboten, dass du so redest.
Jelly
Pfff.
Hosenscheißer lässt sich auf die Bank fallen und verschränkt die Arme.
Hosenscheißer
Wenn du nicht gehst, dann gehe ich auch nicht.
Jelly
Ich will Geschichtenerzählerin werden, ich brauche keine Schule. Gymnasium.
Es war einmal vor langer langer Zeit an einem Ort, der Amazanika heißt…
Hosenscheißer
Er heißt Amazonas.
Jelly
Du hast keine Ahnung.
Hosenscheißer
–
Jelly
Amazanika ist viel mehr.
Sie sagt es sehr groß.
A-ma-za-ni-ka.
Das Wort muss so groß sein, damit es das ganze Zuhause-Gefühl in sich aufnehmen kann.
Hosenscheißer versucht, „Berlin“ genauso groß zu sagen.
Hosenscheißer
Berlin. BER-LIN. BEEERLIIIN.
Jelly
A-MA-ZA-NI-KA.
Es gibt nichts Schöneres auf der Welt.
Hosenscheißer
Frau Laut sagt, du sollst mal den Kopf aus den Wolken ziehen.
Jelly versteht nicht.
Hosenscheißer
Das sagt man so. Dass du in deiner Fantasie lebst und dass der Amazonas in deiner Erinnerung viel toller ist als in echt.
Jelly
Er ist toll, weil er Zuhause ist. Aber das verstehst du nicht.
Hosenscheißer
Ver-klä-ren.
Jelly versteht nicht.
Hosenscheißer
Papa sagt, hier ist es auch gut.
Jelly
Ja, für dich vielleicht. Weil es dein Zuhause ist.
Hosenscheißer
Ich will auch mal den Amazonas sehen. Papa sagt, wenn ich so alt bin wie du, darf ich in den Amazonas fahren, die ganzen Ferien.
Jelly
So dumm.
Hosenscheißer
Hä, warum wieso ist das dumm bitte?
Jelly
Du bist in der ersten Klasse, Baby.
Hosenscheißer
Na und? Außerdem kann ich schon schwimmen.
Jelly
Los, geh in die Schule.
Hosenscheißer
Nee. Wenn du nicht gehst, geh ich auch nicht.
Jelly
Ich brauche keine Scheiß Schule. Gymnasium.
Hosenscheißer
Man Jelly, ich krieg Ärger, wenn du nicht gehst!
Jelly
Pech Hosenscheißer und jetzt verpiss dich.
Hosenscheißer
Du kannst nicht zurück.
Jelly
Klar, kann ich. Hier in meinem Kopf. Und später dann in echt.
Hosenscheißer
Nee. Dein Zuhaue ist jetzt hier.
Jelly
Ich hasse dich.
Hosenscheißer
Willst du Eis?
Jelly
Geh in die Schule.
Hosenscheißer
Ich hab Taschengeld.
Hosenscheißer geht zum Kiosk und kauft Eis. Der Schulbus fährt vorbei. Jelly klettert auf den Mülleimer und dann aufs Bushaltestellen-Häuschen und zieht ein weißes Blatt Papier aus ihrer Schultasche.
Jelly
Der Sommer kam schnell.
Der Sommer und die Luft flirrt im Betondschungel und über dem weißen Aufsatzpapier: „Schreibe hundert Worte über Sommer“. Aber das Aufsatzpapier ist weiß wie Schnee. So sieht doch kein Sommer aus. Weiß wie weiß-ich-nicht-Schnee.
Hosenscheißer kommt zurück und klettert umständlich mit zwei Eis in der Hand aufs Dach.
Hosenscheißer
Zeig mal.
Jelly
Nee.
Hosenscheißer nimmt ihr das Blatt aus der Hand und liest.
Hosenscheißer
„Liebe Jelly, im Deutsch-Unterricht bitte nur AUF DEUTSCH schreiben. Liebe Grüße, Frau Laut“
Sie zerrt ihm das Papier aus der Hand und zerreißt es.
Hosenscheißer
Ey!
Sie lässt kleine Schnipsel vom Dach schneien.
Jelly
Das ist der Weiß-ich-nicht-Schnee.
Hosenscheißer
Weiß-ich-nicht-wie-Schnee, voll schön. Du wärst eine tolle Geschichtenerzählerin.
Jelly
Echt?
Hosenscheißer
Voll.
Sie essen Eis. Mit der freien Hand schüttet Jelly ihren Rucksack aus: Deutschbücher, Stiftemäppchen, Honigbrot, Wasserflasche, eine Tüte Chips, die sie anfängt zu essen.
Hosenscheißer
Meine Lieblingschips.
Jelly
Finger weg.
Hosenscheißer
Wenn ich von deinen Chips essen darf, helf ich dir bei dem Aufsatz.
Sie legt sich auf den Rücken und guckt in den Himmel.
Hosenscheißer
Mir ist langweilig.
Jelly
Hab doch gesagt du bist zu klein.
Hosenscheißer
–
Jelly
–
Hosenscheißer
–
Jelly
–
Hosenscheißer
Was machst du?
Jelly
Zähle Sterne.
Hosenscheißer
Ist doch hell.
Jelly
Dann zähle ich Schäfchenwolken.
Hosenscheißer
Ist das lustig?
Jelly
Manchmal gehe ich in meinem Kopf spazieren.
Hosenscheißer
Man kann in seinem Kopf nicht spazieren gehen.
Jelly
Vom Affenbrotbaum laufe ich los. Zum Kiosk. Und dann am Haus vorbei, das von den Ameisen gegessen wurde.
Hosenscheißer
Bist du bescheuert. Ameisen essen doch keine Häuser.
Jelly
Ja, hier vielleicht nicht, hier sind sie ja winzig, aber in Amazanika … Das Einzige, was die amazanikanischen Ameisen noch lieber essen als Häuser, sind kleine Hosenscheißer.
Hosenscheißer
Ich weiß, dass du lügst.
Jelly
Dann kommt der große Fluss. Die Alligatoren haben ihre Augen geschlossen, wenn sie neben dem Boot durchs Wasser treiben und mit ihren Schwanzspitzen über die Oberfläche peitschen.
Sie gießt sich Wasser ins Gesicht, bis der Amazanika-Fluss auf dem Bushaltestellen-Dach entsteht.
Ich ziehe die Regenkapuze enger und halte sie an den Seiten fest. Die Gischt spritzt über den Bug.
Obwohl es immer Sommer ist, gibt es keine Wespen. Die Tiere in Amazanika greifen nur an, wenn du sie erschrickst oder bedrohst, naja außer vielleicht die Nilpferde. Aber selbst die sind nicht so aggressiv wie die Wespen in Berlin. Und meistens sieht man kein einziges Nilpferd, wenn man einen ganzen Tag mit dem Boot auf dem Fluss unterwegs ist. Es gibt siebzehn Stromschnellen und hinterm großen Wasserfall ist eine Höhle aus Obsidian, ganz schwarzer Stein aus der Lava von Vulkanen. Die Göttinnen haben ihn so glattgeschliffen wie Glas, man kann sich darin spiegeln und sein wahres Gesicht erkennen. Hinter dem Vorhang aus Wasser rauscht der Fluss.
Sie reißt ein Blatt aus ihrem Deutschbuch, faltet ein Papierboot und setzt es aufs Wasser.
Erst wenn die Riesenschlangen in der Nacht anfangen zu singen, wird das Wasser in den Stromschnellen ruhig. Dann zerschellt der Mond auf der glatten Oberfläche wie Millionen Diamanten. Es war das letzte Licht, das auf der Erde gesehen wurde, bevor die Finsternis nicht mehr endete.
Hosenscheißer
Du sollst nicht solche Sachen sagen, Mama hats dir verboten.
Jelly
Was für Sachen.
Hosenscheißer
Weißt du ganz genau.
Jelly
In meinem Kopf tanzen die Worte, wie die Schmetterlinge mit den blauen Flügeln aus Amazanika. Und mit roten Flügeln. Und mit grünen. Sie sind schön. Sie sind frei. Dann mache ich den Mund auf, damit die amazanikanischen Wort-Schmetterlinge rausfliegen können, aber dann verwandeln sie sich in deutsch-gelb-schwarze Wortwespen, die mich in die Zunge stechen. Dann kullern Geräusche von meinen Lippen. Komische Geräusche, die keine korrekten Worte mehr sind, und dann guckt Lili, die meine Freundin ist, und Frau Laut, die meine Lehrerin ist… die eigentlich nett sind… und ich will nur sagen, „Das bin nicht ich, das sind die Wortwespen“, aber es kommen gar keine Worte mehr heraus, nur Wespen…
Sie fängt an nach den Wespen zu schlagen, die aus ihrem Mund kommen.
Der Schwarm surrt.
Ich halte die Luft an.
Es sirrt und flirrt.
Sie stechen mich in den Hals.
Überall Wespen.
Ich kann nicht atmen.
Jelly hält sich den Hals.
Jelly
Wortwespe verschluckt – steckt im Hals – keine Luft –
Hosenscheißer
Empfohlenes Verhalten bei Wespen: Ruhe bewahren. Keine Panik. Nicht mit den Armen nach ihnen Schlagen, nicht schreiend weglaufen, sie nicht anpusten, das bringt sie in den Aggressionsmodus.
Jelly
Klar. Aber sie sind immer im Aggressionsmodus.
Hosenscheißer
Echt?
Jelly steht auf und zertritt das Boot.
Hosenscheißer
Bist du bescheuert?
Jelly
Da war eine Wortwespe, pass auf.
Hosenscheißer
Ist doch gar nicht warm genug für Wespen.
Jelly
Du hast sowas von keine Ahnung Hosenscheißer. Es sind keine Wespen, es sind Wortwespen. Worte wie Wespen. Die deutschen Worte sind wie Wespen. Sie sind aggressiv und stechen mich in den Mund. Aggressive, gelb-schwarze Wortwespen.
Hosenscheißer
Papa sagt, Worte sind Wunder.
Jelly
Ja ja, Papa.
Hosenscheißer
Papa sagt, Worte sind Wunder. Sie sind Wunder, weil in ihnen die ganze Welt liegt: Die Bäume, die Autos, die Straßen, die Berge, die Meere. Der Himmel. Die Planeten. Das Sonnensystem. Sie liegen in den Worten wie Süßigkeiten im glitzernden Bonbonpapier, man muss sie nur auspacken. Dann raschelt es. Dann lässt man sie sich auf der Zunge zergehen. Es gibt leichte Worte wie ganz kleine Bonbons, und schwere Worte, an denen muss man ganz lange lutschen, sagt Papa.
Jelly
Ja ja, aber Papa spricht ja nur die Zuhausesprache, deswegen weiß er nicht, dass die deutschen Worte Wespen sind.
Hosenscheißer springt vom Dach. Aus seiner Schultasche, die neben der Bank steht, nimmt er eine Halskette mit Obsidian-Anhänger.
Jelly
Sie verfolgen mich. Selbst wenn ich nicht spreche, können sie jeden Moment auftauchen. Ohne Vorwarnung. Mitten im Unterricht, beim Diktat. Vielleicht fängt alles gut an, die ersten schwarzen Zeichen zieren das weiß-ich-nicht-wie-Schnee-Papier, konzentriert wartet meine Hand auf die Stimme von Frau Laut, meine Augen und Ohren hängen an ihren Lippen. Frau Laut guckt mich an. Sie lächelt, aber ihr Lächeln verzieht sich zu einer Fratze, sie bleckt die Zähne, schnell drehe ich den Kopf weg. Neben mir zeichnet Lili die nächsten Buchstaben in ihrer schönen, immer perfekten Schrift, sie … schreibt … ich … habe nicht mitbekommen, was aufzuschreiben ist … Frau Lauts Stimme rast weiter … Lili schreibt weiter … ich … habe den Buchstaben, das Wort, den Satz verloren … ich … bin verloren … die Wortwespen jagen zwischen den Zeilen hervor, aus dem letzten Winkel hinterm Komma … ich kann das Blatt nicht mehr sehen.
Von dem riesigen Schwarm wird das weiß-ich-nicht-wie-Schnee-Papier schattenschwarz. Grellgelb. Abgrundtiefschwarz. Warngelb. Unterweltschwarz. Gefahrengelb.
Hosenscheißer steigt auf den Mülleimer, sein Kopf erscheint am Dach. Jelly boxt in die Luft. Springt auf eine Tüte Chips oder Flasche Wasser, dass es knallt, wie wenn man eine Wortwespe erschlägt.
Erschlagen. Und du auch noch. Und du. Und du. Erschlagene Gelb-schwarze Wortwespe.
Hosenscheißer
Ich spreche doch Deutsch Jelly. Es sind einfach Worte.
Jelly
Du warst zwei, als wir hergekommen sind, du hast es von Anfang an gelernt. Deswegen stechen sie dich nicht. So wie Lili und die anderen. Niemand versteht mich.
Sie setzt sich an die Kante. Hosenscheißer legt ihr die Kette in den Schoß.
Jelly
Die Obsidian-Kette von Oma.
Hosenscheißer
Vielleicht brauchst du sie. Du hast gesagt, dass Oma sie immer berührt hat, wenn sie Geschichten erzählt hat. Sie war doch eine Geschichtenerzählerin. So wie du eine werden willst.
Ich will auch mal Amazanika sehen.
Jelly
Kannst du nicht. Aber den Amazonas, den siehst du ganz bestimmt, wenn du groß bist.
Hosenscheißer
Meinst du?
Jelly hängt ihm die Kette um den Hals.
Jelly
Versprochen.
Sie sieht ihr Stiftemäppchen und kritzelt aufs Dach.
Jelly
Hässlich, so weiß, wie weiß-ich-nicht-Schnee.
Aber jetzt wachsen hier Donnerblumen, die sind blau, und Hexenpilze, die sind rot. Vorsicht, nicht zu nah an den Wasserfall! Und hier ist alles grün.
Hosenscheißer
Und wohin führt der Weg?
Jelly
Das ist der Fluss. Es gibt keinen Weg.
Er hebt das zertretene Schiffchen hoch um es auf den Fluss zu setzten.
Jelly
Pass auf! Da ist die Wortwespe drunter!
Hosenscheißer
Guck mal, wie dick die ist.
Jelly
Idiot!
Hosenscheißer
Ganz weich. Du Jelly.
Jelly
Du kannst die doch nicht anfassen!
Hosenscheißer
Die hat ein Fell, das ist ganz weich. Wespen haben gar kein Fell.
Er streckt sie ihr entgegen, aber Jelly weicht vor Angst zurück.
Hosenscheißer
Das ist gar keine Wespe Jelly, das ist eine Biene, guck mal wie klein. Sie tut nichts. Sie hat nur Winterschlaf gemacht, guck, ihre Beine sind noch ganz steif. Aber jetzt streckt sie sich. Ich glaube sie gähnt, hörst du das? Es ist ein AAAA. Es ist keine Wortwespe, es ist eine kleine, verschlafene Buchstaben-Biene. Guck mal.
Jelly traut sich nicht und guckt weg.
Hosenscheißer
Kann ich deinen Stift?
Hosenscheißer zeichnet die A-Buchstaben-Biene aufs Dach, damit Jelly sie angucken kann, ohne dass sie Angst haben muss, gestochen zu werden.
Hosenscheißer
Hast du dein Pausenbrot noch?
Jelly
Hm, und Chips.
Hosenscheißer
Kann ich welche? Probier‘s mal mit Honig.
Jelly
Chips mit Honig?
Hosenscheißer
Sie ist doch grade erst aufgewacht, sie hat bestimmt Hunger.
Hosenscheißer klappt das Honigbrot auf und gibt Jelly die Hälfte.
Hosenscheißer
Honig auf die Fingerspitzen nehmen. Die Hand ganz ruhig halten. Die Buchstabenbiene sich auf die Honigfingerspitzen setzen lassen. Marmelade geht auch. Jetzt isst sie. Bienen kann man nämlich zähmen. Sie können sich die Gesichter von den Menschen merken, die sie gezähmt haben. Sie können auch ihre Stimmen erkennen. Sie stechen nicht die, die sie gezähmt haben. Wie sie mit den Fühlern wackelt, als würde sie hallo sage. Ich glaube sie mag dich.
Er gibt ihr den Bienenbuchstaben und sie sticht sie nicht. Er nimmt die nächste Buchstabenbiene auf seine Honigfingerspitze.
Hosenscheißer
Hier nimm sie mal, Bienen sind nicht gern allein. Wespen ja, die sind Einzelgänger. Aber Bienen nicht, die leben zusammen. Jede hat ihre Aufgabe. Eine Biene muss nicht alles allein können. Sie kann sich helfen lassen. Und sie kann anderen helfen. Jede Biene ist einzigartig und sie ist wichtig für den Schwarm.
Sie malen den ganzen Schwarm Buchstaben-Bienen aufs Dach.
Jelly
Aufsatz: Schreibe hundert Worte über Sommer.
Das Märchen vom Wespenmädchen und dem Obsidian-Prinzen:
Es war einmal ein Wespenmädchen, das in einem Schloss tief im Herzen von Amazanika lebte, wo die Bäume so groß waren, dass die Wolken sich in ihnen wie Zuckerwatte verfingen und die Schmetterlinge so blau waren wie Wunder und so gelb wie die Sonne. Aber Amazanika war ein grauer Betondschungel geworden und das Schloss war kalt und traurig, umgeben von endlosen Straßen, brachte der Wind nun keinen Blütenduft mehr, sondern das Echo von Autohupen und Motoren. Das Wespenmädchen wurde erst traurig, dann wütend, sodass es alle Menschen und Tiere verjagte, die in seine Nähe kamen. Bald wagte niemand es mehr, es zu besuchen, denn man hatte von seinem giftgelben Stachel gehört und den Augen, finster wie die alptraumschwarze Nacht. Das Wespenmädchen fuchtelte mit seinem Stachel durch die Luft, stach nach allem, was sich bewegte, und jagte die Kinder, die zu nah an seinem Schloss spielten. Es kam sogar in die Alpträume der Kinder, wo es mit seinem giftgelben Stachel die Kinder in der Nacht festpinnte, sodass sie nicht aufwachen konnten. Je mehr das Wespenmädchen stach, desto wütender wurde es, und je wütender es wurde, desto einsamer war es.
Hosenscheißer
Doch eines Nachts …
Jelly
Doch eines Nachts, als der Mond hochstand und die Sterne wie Diamanten funkelten …
Hosenscheißer
… kam ein Prinz zu ihrem Schloss …
Jelly
Kam ein Prinz zu ihrem Schloss. Er war klein, aber mutig, und seine Rüstung war aus glänzendem Obsidian geschmiedet.
„Wer bist du, der sich wagt, mein Schloss zu betreten?“
Hosenscheißer
Schrie das Wespenmädchen und schwirrte bedrohlich um ihn herum.
Jelly
Doch der Prinz antwortete nicht. Stattdessen hob er seinen Obsidian Schild, der so glatt war, dass er wie ein Spiegel glänzte. Das Wespenmädchen blickte hinein – und zum ersten Mal sah es sich selbst.
Es sah seinen schimmernden gelb-schwarzen Körper, und zu seinem erstaunen sah es, dass es ein dickes, weiches, gelbschwarzes Fell hatte. „Aber Wespen haben doch gar kein Fell,“ sagte es erstaunt.
Hosenscheißer
„Nur Bienen haben so ein schönes, weiches Fell. Du bist keine Wespe. Du bist eine Biene.“
Jelly
„Eine Biene?“ flüsterte es. Es dachte an seine einsamen Tage im Schloss, an seine Wut und Traurigkeit. Und dann verstand es: es war nie ein Wespenmädchen gewesen, sondern es war eine verlorene Bienenkönigin.
„Wenn ich eine Bienenkönigin bin,“ sagte es, „dann habe ich ja ein Volk, dann bin ich ja nicht allein.“
Hosenscheißer
Der Obsidian-Prinz nickte. „Der Betondschungel ist vielleicht nicht Amazanika, aber er ist trotzdem voller Wesen, die auf dich warten. Sie wollen deine Nähe und deine Wärme und sie brauchen vielleicht deine Hilfe und du brauchst vielleicht ihre.“
Jelly
Die Bienenkönigin nickte schüchtern. Sie war so lange allein gewesen, dass sie nicht mehr wusste, wie das geht: Nah sein, und warm sein, und einander helfen. Der Obsidian-Prinz sagte:
Hosenscheißer
„Es ist ganz einfach: Gib ihnen von deinem Honig und zähme sie. Und lass dich von ihnen zähmen.“ Und von diesem Tag an war die Bienenkönigin nicht länger allein. Sie flog durch den Betondschungel, suchte ihre verlorenen Bienenkinder und verteilte ihren Honig.
Jelly
Die Bienen bestäubten die Blumen, die vereinzelt auf Parkplätzen und zwischen den Pflastersteinen gewachsen waren und grüne Ranken hangelten sich an den grauen Mauern empor und bunte Blumen sprossen aus den Ritzen der Straßen. Das Schloss begann wieder zu leuchten, umgeben von summenden Bienen.
Und der Obsidian-Prinz?
Hosenscheißer
Er blieb ihr treuer Freund. Wenn er von seinen Ritter-Reisen ins Schloss zurückkehrte, saßen sie bis spät in der Nacht unter den Sternen und die Bienenkönigin erzählte ihm Geschichten von einer Welt, an die er sich nicht erinnern konnte, von blauen Schmetterlingen, einer magischen Vulkanhöhle hinter einem großen Wasserfall und im Fluss singenden Riesenschlangen.
Und so lebten sie glücklich, in einem Schloss, das niemals wieder leer war.
Jelly
Komm Hosenscheißer.
Hosenscheißer
Ey!
Sie wuschelt ihm durch die Haare.
Jelly
Kannst die Chips aufessen.
Hosenscheißer
Echt, kann ich alle?
Jelly
Für dich. Kommst du mit, mein blaues Wunder erleben?
Hosenscheißer
Lieber nicht.
Jelly
Ich auch nicht. Gehen wir Fußball spielen?