„Scht!“ von Tamara Bach

Frühstück. Familie mit vielleicht drei Kindern, die aber Lärm für fünf machen, dazu die Eltern, die auch dazwischenreden. Alle haben Bedürfnisse, die sie mitteilen müssen, alle nehmen sich ihren Raum. Außerdem Maus. Und Wunschperson (WP).

Kind 1
Maus hat heute Geburtstag!

Kind 2
Ich hab heute aber Mathearbeit, das ist viel wichtiger.

Kind 3
Ich kann nicht mit dem Rad in die Schule, ich hab einen Platten.

Kind 1
Wo ist denn mein Lieblingspulli, immer leihst du dir Sachen aus, ich hab dir schon
hunderttausendmillionenmal gesagt, dass das meine Sachen sind, MEINE!
HÖRST DU!

Mama
Streitet euch nicht!

Maus ist schon längst aufgetreten und hat sich leise eine Schale Müsli gemacht und löffelt abseits von der Familie. Immer, wenn jemand MAUS sagt, hebt Maus die Hand und sagt leise etwas, aber die anderen hören es nicht und reden weiter. Maus zuckt zusammen, wenn es ganz besonders laut wird und verzieht das Gesicht.

Kind 1
Aber Mama, das macht der immer, und immer hältst du zu ihm! Papa sag doch auch
mal was!

Papa
Ihr sollt essen und räum du doch mal deinen Teller weg du hängst mit dem Ärmel im
Müsli, pass doch auf…

Kind 3
Ey, drängel nicht so.

Kind 2
Ich drängel doch gar nicht.

Kind 3
Gibt es denn Kuchen, gibt es einen Kuchen für Maus, mit Schokolade?

Kind 1
Ich mag aber keine Schokolade.

Kind 3
Du hast sie ja nicht mehr alle, ALLE lieben Schokolade!

Kind 1
Ja, aber ich nicht!

Kind 2
Du hast ja nur Angst, dass du noch mehr Pickel bekommst.

Kind 3
WO ist denn jetzt Maus, ich muss gleich los.

Kind 1
Du willst ja nur Kuchen.

Kind 2
Nee, ich will gratulieren!

Kind 1
Nee, du willst Schokolade.

Kind 2
Ich brauche Schokolade, ich hab Stress, ich hab Stress, weil ich gleich Mathe
schreibe, du hast ja keine Ahnung wie schwer das ist, du machst ja Babymathe!

Kind 3
Jaja, jetzt hör doch mal auf.

Mama
Maus, wo bist du denn?

Kind 2
Du hast doch eh kein Geschenk für Maus.

Kind 1
Na und, du doch auch nicht! Mama aber, Mama, sag mal, das ist doch von uns
allen?

Kind 2
Ey du bist so geizig!

Kind 1
Nee, ich hab kein Geld, ich weiß auch gar nicht, was Maus sich wünscht.

Kind 2
Bestimmt Rollschuhe!

Kind 3
Nur weil du dir Rollschuhe wünscht…

Kind 2
Mama, kann ich Rollschuhe haben?

Mama
Du hast doch erst in einem halben Jahr Geburtstag.

Kind 2
Ja, aber Weihnachten!

Kind 1
MAUAUUSS, WO BISTN DUUU?

Kind 2           
Oder zu Ostern?

Maus wird erst entdeckt, als Maus die Müslischüssel in die Spüle gibt und das Geschirr scheppert. Alle drehen sich um.

Alle
MAUS! DA BIST DU JA!

Familie fängt an Happy Birthday zu singen, auch in der „Marmelade am Schuh“ Version, aber auch die andere. Alles durcheinander, jemand versucht die zweite Stimme (falsch) zu singen. Maus verzieht das Gesicht, will aber lächeln. Familie umarmt Maus. Alles ein bisschen zu laut und ruppig.

Kind 2
MAMA, WO IST DENN DER KUCHEN? MAUS, SCHNELL, ICH MUSS GLEICH LOS,
ICH SCHREIB IN DER ERSTEN MATHE!

Papa
Kerzen, Kerzen, wo sind die Kerzen?

Kind 1
Jetzt mach doch mal.

Kind 3
Mama, wo sind die Kerzen?

Kind 2
Kerzen?

Mama
Na klar, Maus muss sich doch was wünschen.

Kind 3
Ich kenn die Regel, dass man so lange still sein muss, bis der Rauch von den Kerzen
weg ist, sonst geht der Wunsch nicht in Erfüllung.

Papa
Jetzt aber, Maus, mach mal, wünsch dir mal was Ordentliches!

Die Kerzen werden angezündet, ausgeblasen, aber niemand kann ruhig bleiben.

Alles geht schief, die Kerzen müssen wieder angezündet werden, aber immer bevor Maus Luft holt, kommt ein neuer Vorschlag, was man sich wünschen würde oder was die Regeln sind . Maus denkt nach und sagt leise „Ich wünsche mir“, da pustet ein anderes Kind die Kerzen aus und alle machen ein entsetztes Geräusch.

Kind 1
Sorry, hat mir zu lange gedauert.

Die Wunschperson taucht auf, wie eine Fee oder ein Showmaster, es macht „puff“ und Wunschperson erklärt:

WP
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich bin Wunschperson, ich komm nur in
Notfällen, wenn irgendwas beim Wünschen schief gegangen ist. Wer darf sich denn
hier etwas wünschen?

Alle reden durcheinander, weil alle sich etwas wünschen wollen. Maus hebt die Hand und sagt leise:          

Maus
Ich.

WP
Aaah, du hast also Geburtstag. Was darf es denn sein? Du wünscht dir doch
bestimmt … eine Katze? Einen Hund? Ein Fahrrad? Rollschuhe? Eine
Autogrammkarte von mir? Du willst einmal so richtig berühmt sein?

Die anderen lachen, reden und schubsen Maus an.

Kind 2
Sag doch mal, Maus, du musst laut reden.

Papa
Du musst dich durchsetzen, also manchmal glaub ich, du gehörst gar nicht richtig
zu uns.

Mama
Wissen Sie, liebe Wunschperson, wir sind nämlich eine laute Familie.

Kind 1
Ja, wir sind die lautesten in unserer Straße!

Papa
Bei uns geht es immer lustig zu.

Mama
Bei uns ist es bunt und ein bisschen chaotisch und witzig.

Papa
Und wir lachen viel!

Kind 2
Und wir streiten uns auch.

Kind 3
Aber Maus ist so ein bisschen anders.

Kind 1
Mensch Maus.

Mama
Vielleicht kommt das ja noch…

Papa
Mensch, sei doch einfach mal ein bisschen lauter, mutiger. Wenn du immer so still
bist, dann hört dich ja keiner, du musst dir Platz verschaffen, Gehör, sonst wird das
nichts im Leben!

Kind 1
Maus, sag doch mal.

Kind 3
Sag doch mal, was wünscht du dir denn?

WP sieht sich verwirrt um. Maus sagt manchmal etwas, ein Wort, eine Silbe, aber niemand hört zu. WP räuspert sich mehrmals.

WP    
RUHE! Ich kann so nicht arbeiten!

WP macht eine Handbewegung. Es gibt ein Geräusch, ein Glitzern, und plötzlich haben alle Familienmitglieder, außer Maus, ein Pflaster auf dem Mund.

WP
So. Hi!

Maus
Hi.

WP
Die sind ganz schön laut, was?

Maus zuckt mit den Schultern. Nickt.    

Maus
Ein bisschen, ja.

WP
So, was wünschst du dir denn jetzt?

Maus denkt nach. Die Familie im Hintergrund versucht die Pflaster abzubekommen, manchmal brummen sie durch die Pflaster, aber mehr als „mmmh! Mhh!“ kann man nicht hören. Sie versuchen noch mal ihre Wunschvorschläge als Pantomime vorzuspielen. Maus guckt immer wieder abgelenkt zur Familie, WP winkt vor Maus‘ Gesicht rum. Wieder eine Handbewegung von WP: Geräusch, Glitzer und die Familie ist weg.

Maus
Wo sind die denn alle?

WP
Wieso, die haben doch eh nur gestört.

Maus
Ja, aber …

WP
Soll ich sie zurückholen? Ist das dein Wunsch?

Maus
Was? Aber, warum? ICH hab sie ja gar nicht… Du hast sie doch weggewünscht! So
geht das doch nicht mit Wünschen, oder?

WP
War ja nur ein Scherz.

Maus
Geht es denen gut?

WP
Klar.

Maus
Und denen tut auch nichts weh.

WP
Nein. Oder wünschst du dir das?

Maus schüttelt entsetzt den Kopf. Setzt sich auf den Boden.

WP
Was ist denn nun?

Maus hebt eine Hand.

Maus
Ich muss nachdenken

WP will was sagen.Maus legt sich einen Finger an die Lippen: Scht! WP nickt und wartet bis Maus aufsteht.

Maus
Okay. Was sind denn die Regeln?

WP
Kerzen sind ja schon ausgeblasen.

Maus
Und das mit dem Rauch?

WP
Egal, jetzt einfach nur wünschen.

Maus
EIN Wunsch?

WP
Ja. EINER. Das heißt auch, dass man sich nicht mehr Wünsche wünschen kann.

Maus
Aha. Verstehe.

WP
Ach, und es muss dein Herzenswunsch sein.

Maus
Mein was?

WP
Herzenswunsch. Du musst das echt und wirklich wollen. Sonst funktioniert es nicht.

Maus
Also Weltfrieden? Oder dass niemand mehr hungern muss? Oder dass die Umwelt
wieder heile ist?

WP
Welcher davon ist denn dein Herzwunsch.

Maus
Weltfrieden?

WP
Wenn du mich fragst, ist es dann dein Herzenswunsch?

Maus zuckt mit den Schultern.

Maus
Woher weiß man denn, was sein Herzwunsch ist?

WP
Das … das spürt man.

Maus
Spürt man? Wo?

WP
NA, IM HERZEN.

Maus
Vielleicht hab ich ja keinen Wunsch. Ich spür da nichts.

WP ist ein bisschen angenervt und rollt mit den Augen.

Maus
Hast du noch Termine? Du kannst ja gehen.

WP
Darf ich nicht.

Maus
Wie, darfste nicht?

WP
Ich kann erst gehen, wenn der Wunsch richtig gewünscht ist.

Maus
Und was ist mit den anderen Kindern?

WP winkt ab.

WP
Ach arbeite nicht allein.

Maus
Spannend! Wie viele seid ihr denn? Wolltest du schon immer Wunschperson
werden? Wie wird man das denn?

WP
Du bist gar nicht so still, was?

Maus
Wieso?

WP
Deine Familie eben hat doch gesagt…

Maus seufzt.

Maus
Ist doch egal

WP nickt langsam.

Maus
Was wünscht man sich denn so? Du hast da mehr Erfahrung. Was wünschen sich
denn andere Kinder?

WP
Ein Kind gestern hat sich gewünscht, dass seine Mutter wieder gesund wird. Letzte
Nacht eins hat sich eine Freundin gewünscht. Am Sonntag wollte ein Kind ein
Fahrrad. Ein anderes ein Kaninchen.

Maus
Okay.

WP denkt nach.

WP
Komm, wir schauen mal, was sich deine Familie wünscht.

Handbewegung WP: Geräusch, Glitzern und die Familienmitglieder tauchen nacheinander auf.

Kind 1
Ich will Muskeln.

Kind 3
Ich will keine Angst mehr vor der Schule haben.

Kind 2
Ich will Rollschuhe.

Mama
Ich wünsch mir mehr Zeit mit meinen Freundinnen.

Papa
Ich will in Frührente gehen und nur noch Bäume malen.

WP zeigt auf Maus.

WP
Und jetzt du!

Maus
Nee, so schnell geht das nicht! Ich will das alles ja gar nicht. … was würdest du dir
denn wünschen? Hast du denn Geburtstag?

WP
Hab ich mir schon etwas gewünscht, geht dich nichts an, und ja, im Mai.

Maus
Im Mai! Schön!

WP
Du lenkst ganz schön ab.

Maus
Ich fand das gerade ganz schön…

WP
Was denn genau?

Maus
Dass ich das jetzt weiß, was die sich so wünschen. Ich wusste das gar nicht.

WP
Echt nicht?
Maus schüttelt den Kopf.

WP
Aber deine Familie ist doch sehr –

Maus
-laut?

WP
-mitteilungsbedürftig?

Maus
Aber nur weil man was sagt, heißt das ja nicht, dass man … was sagt. Verstehst du?

WP
Ja.

Maus
Oder weil man laut ist.

WP hört zu und guckt Maus nur an.

Maus
Dass alle immer sagen, dass ich auch nur laut sein muss. Genauso laut. Oder lauter.
Das will ich aber gar nicht.

WP nickt.

Maus
Dann ist alles nur noch Lärm. Dann hört man ja gar nichts mehr!

WP
Was ist denn mit Ohropax? Die sind super, ich schlaf mit denen, dann ist alles sehr
still. Oder du könntest dir einen Lautstärkeregler wünschen, wenn dir das zu laut ist.

Maus
Ich will ja trotzdem zuhören.

WP
Achso!

WP überlegt.

WP
Magst du mal zuhören, was die so von dir halten? Oder was die denken?

Maus
Ich weiß nicht. Das ist doch wie Tagebuch lesen.

WP
Nee, gar nicht. Komm.

Handbewegung, Geräusch, Glitzern…

Kind 1
Ich mag meinen großen Bruder am liebsten, der ist so stark. Ich wüsste gerne, wie
Maus so ist. Meine Schwester find ich doof, weil die mich doof findet. Deswegen.
Nein, ich find die gar nicht doof, ich mag die gerne, aber sie findet, dass ich nerve,
dabei will ich doch einfach nur ein bisschen mit ihr spielen und ich mag sie ja, ja.
Und Maus ist lieb. Aber so still. Aber Maus hat mir mal geholfen, da hab ich aus
Versehen die Lieblingstasse von meiner Schwester kaputt gemacht, das war echt
Aus Versehen. Wir haben die dann wieder so gut zusammengeleimt, das hat die gar
nicht gemerkt, ein Glück. Und Maus hat auch gar nicht gepetzt.

Kind 2
Ich mag meinen kleinen Bruder nicht, weil der mich nicht mag und mich immer
ärgern muss, das nervt, und immer nur mich. Ich mag Maus, aber Maus ist so still.
Aber ich mag wie gut Maus zuhört. Und Fragen stellt. Maus hat mir auch schon
lauter Videos übers Rollschuhfahren gezeigt, weil ich einmal gesagt habe, dass ich
gerne Rollschuh laufen würde.

Kind 3
Alle denken immer, dass ich so stark bin und gut in der Schule, und ich bin ja auch
das älteste Kind, aber ich hab so eine Angst, dass ich nicht aufs Gymnasium
komme, dass meine Noten dafür nicht ausreichen, und dann kann ich nicht mit
meinen Freunden zusammen bleiben, wobei das eh passieren kann, dass wir an
unterschiedlichen Schulen landen, und dann seh ich die gar nie mehr. Und mein
Fahrrad hat gar keinen Platten. Ich will nur mit den anderen in die Schule laufen,
auch wenn das länger dauert.

Mama
Meine Kinder sind so ein bunter Haufen, da geht Maus ein bisschen unter, und ich
find das schade, aber wenn wir allein sind, dann blüht Maus richtig auf, ist gar nicht
so still, redet, hört zu, und merkt sich alles! So ganz anders als die anderen drei!
Aber ich hab ja alle meine Kinder gleich lieb.

Papa
Maus ist genauso wie ich in dem Alter. Aber dann hab ich mir Ellbogen zugelegt und
mir das bei meinen Brüdern abgeguckt, wie das geht mit dem laut sein. Und ja,
meine anderen Kinder sind genauso geraten. Nur Maus nicht. Aber ich mag Maus.
Maus sieht so viel! Und wenn ich bastle, werkel oder male, ist Maus das einzige
Kind, das sich dazu setzt und hilft oder was lernen will. Das ist auch schön.

Familie verschwindet wieder, Maus ist allein mit WP.

WP
Und was machen wir jetzt?

Maus
Ist doch eigentlich alles gut, oder?

WP
Findste? Also dann doch einfach nur ein Kaninchen?

Maus
Vielleicht die Rollschuhe für meine Schwester? Oder dass mein großer Bruder aufs
Gymnasium kommt? Oder –

WP winkt ab.

WP
Die haben alle ihre eigenen Geburtstage für ihre eigenen Wünsche.

Maus
Vielleicht will ich ja selbst Rollschuhe. In Größe 39.

WP
Ja nee, is klar.

WP guckt Maus unter die Schuhe. Größe 35.

Maus
Zum Reinwachsen.

WP
Maus.

Maus
Und was, wenn ich mir für uns alle etwas wünsche?

WP

Maus
Von ganzem Herzen?

WP
Dann ja.

Maus flüstert WP etwas ins Ohr. WP will etwas sagen, aber Maus legt einen Finger

an die Lippen. WP nickt.

WP
Dann soll das so sein.

Handbewegung, Geräusch, Glitzern und die Familie steht wieder da und guckt sich verwirrt um.

WP
So, dann …

Maus
Magst du eigentlich Kuchen?

WP
Ja. Kuchen mag ich.

Maus geht an der Familie vorbei, schneidet WP ein Stück Kuchen ab und gibt es WP. Dann überlegt Maus, rennt zurück zum Kuchen, nimmt eine Kerze, steckt sie in das Stück von WP und zündet die Kerze an. WP macht die Augen zu und pustet die Kerze aus.