Welche Rolle spielen Großeltern in unserem Leben?

Das neue Kinderstück KAI ZIEHT IN DEN KRIEG UND KOMMT MIT OPA ZURÜCK ist für uns Anlass, über unsere Großeltern nachzudenken. Und zwar aus der Perspektive von vier GRIPS Mitarbeiter*innen, die eine Zeitspanne vier unterschiedlicher Jahrzehnte ab den 1960er Jahren umspannen.

Heute, Paulina: „Meine Großeltern wurden vor über 100 Jahren geboren.“

Meine Großeltern mütterlicherseits hatten selbst sieben Kinder, ich war das achte Enkelkind
von später insgesamt zwölf. Sie haben in Schleswig-Holstein gelebt, ich in Berlin.
Wir haben uns vor allem zu großen Familienfeiern gesehen. Da war ich aber noch klein.

Am liebsten mochte ich die Geschichten meines Opas über seinen Vater. Der ist Landbriefträger in Pommern gewesen. Und die Geschichten aus seiner Kindheit. Sie sind Ostern immer losgezogen, um Osterwasser von einer Quelle zu holen. Wenn sie dabei geredet haben, dann war es Brabbelwasser.

Meine Oma hatte lustige kleine Locken und immer Kleider an. Vor dem Essen wurde gebetet, das fand ich komisch. „Lieber Vater, Herr Jesus Christ…“, ich habe dann auch die Hände gefaltet, aber dann immer die Augen aufgemacht und geguckt wie die alle aussehen beim Beten. Meine Großeltern kamen mir alt vor, mein Opa hat immer Hut getragen und meine Oma altmodische Schuhe. Meine Oma konnte wahnsinnig schön singen, sie hätte wohl Opernsängerin werden können, aber ihre Schwestern haben ihr die Ausbildung nicht gegönnt. Meine Mutter hat immer erzählt, dass es ihr und den Geschwistern peinlich war, wenn sie über die ganze Kirchengemeinde hinweggesungen hat. Als ich zehn Jahre alt war, waren beide schon verstorben. Meine Oma hat gerade noch mitbekommen wie die Menschen über Ungarn aus der DDR ausgereist sind.

Väterlicherseits kommen meine Großeltern aus Sachsen. Sie sind aber noch vor Mauerbau in den Westen geflüchtet, da war mein Vater erst sechs Jahre alt. Meine Großväter waren beide im Krieg. Mütterlicherseits war mein Opa bei der Bahn, kein Soldat. Er muss die Menschentransporte gesehen haben. Er selbst hat seine Mutter verloren, weil sie von den Nazis ins KZ verschleppt und ermordet wurde.

Mein Opa väterlicherseits war als ganz junger Mann im Krieg. Er ist gegen Kriegsende desertiert und wahnsinnig weit gelaufen Richtung Sachsen. In Buchenwald wurde er dann von den Amerikanern aufgegriffen und war dort jahrelang als Kriegsgefangener inhaftiert. Für meine Tante war er ein fremder Mann. Und meine beiden Omas waren jahrelang allein. Meine Oma mütterlicherseits ist allein mit drei kleinen Kindern vor dem Krieg von Pommern nach Schleswig-Holstein geflüchtet.

Meine Oma väterlicherseits konnte in Leipzig bleiben. Dort hat mein Opa aber keine Arbeit gefunden und dann sind sie aus der DDR über West-Berlin nach Mannheim. Dort sind mein Vater und seine Schwester aufgewachsen. Die Eltern haben sich später getrennt, weshalb ich eigentlich nur meine Oma richtig kannte.

Wir haben uns zweimal im Jahr gesehen. Meine Oma ist vor allem Weihnachten zu uns nach Berlin gekommen. Das war immer etwas anstrengend, weil meine Mutter und sie sich nicht gut verstanden haben. Ich mochte meine Oma, sie war klein und lieb mit mir. Ich war ihr erstes Enkelkind, mein Bruder ihr zweites und wir sind ihre einzigen gewesen. Sie hat lustig gesächselt, sehr gut gekocht und immer für uns haufenweise Plätzchen gebacken zu Weihnachten. Am liebsten mochte ich ihre Makronen.
Über meinen ersten Freund hat sie gesagt: „Na, schöner wird es nimmer mehr.“ Sie ist am selben Tag wie Michael Jackson gestorben. Ich hab so eine komische Vorstellung davon, wie sie beide im Moonwalk in den Himmel einziehen.
Als Erwachsene habe ich begriffen, was mich meine Großeltern als Geflüchtete gelehrt haben:

Du kannst alles verlieren und hinter dir lassen müssen, aber was du im Kopf und im Herzen trägst, kann dir niemand nehmen.