Wenn man keinen privaten Raum hat, bleibt nur der öffentliche Raum zum Leben

Begründung von Andreas Abel von GANGWAY e.V., warum der Hansaplatz obdachlosenfeindlich ist (veröffentlicht zur Preisverleihung GOLDENE KEULE am 21.11.21)

„Der Hansaplatz, der als Ort der Begegnung und Zentrum des Hansaviertels in den 1950er Jahren im Bauhausstil errichtet wurde war einst ein kriminalitätsbelasteter Ort im Sinne des ASOG. Da die Straftaten hier jedoch rückläufig waren und sind wurde der Platz von der Liste der kriminalitätsbelasteten Orte gestrichen. Die Stimmen, dass der Platz äußerst unsicher sei, wurden jedoch immer lauter.

Früher wurde der hier vorhandene U-Bahnhof im Winter als Kältebahnhof genutzt. Der Bürgerverein Hansaviertel wollte in dieser Zeit den Bahnhof zu einem Kulturbahnhof umfunktionieren und warb sehr offensiv für dieses Projekt. Als der U-Bahnhof Hansaplatz vor fünf Jahren auch aufgrund von Protesten der Anwohnenden als Kältebahnhof ersatzlos gestrichen wurde, endete auch das Engagement für einen Kulturbahnhof. Offensichtlich ging es nicht darum, Kultur in den Bahnhof hinein, sondern Obdachlose aus dem Bahnhof hinaus zu bekommen.

Andreas Abel von GANGWAY e.V. bei der Preisverleihung DIE GOLDENE KEULE

In der Folgezeit geschah Schreckliches: Eine ehrenamtliche Organisation namens Berliner Obdachlosenhilfe fuhr den Platz mit einer Essensausgebe einmal in der Woche an. Die Gewerbetreibenden protestierten. Die Essensausgabe störe die Geschäfte – am Sonntagabend!

Das soeben frisch abgewählte Mitglied des Abgeordnetenhauses Herr Thomas Isenberg lud zu mehreren Bürgerversammlungen ein, bei denen es hoch her ging. Es kam die Idee auf keine Pfandflaschen mehr von Obdachlosen anzunehmen bzw. Obdachlosen in den Geschäften nichts mehr zu verkaufen.  Der Obdachlosenhilfe wurde die Nutzung des Parkplatzes (privat) untersagt. Die Veranstaltungen waren gespickt mit rassistischen und klassistischen Äußerungen, ohne dass jemand widersprochen hätte und zur Krönung wurde noch die Schließung der europäischen Grenzen gefordert.

Kurz nach diesen Geschehnissen entdeckten wir an der Einfahrt zum Parkplatz des Supermarktes diese Höhenbeschränkung, obwohl der Parkplatz gar kein Dach hat, an dem ein höheres Fahrzeug anstoßen könnte. SUVs passen hier noch durch, nicht aber Kleintransporter, wie sie beispielsweise von der Obdachlosenhilfe verwendet werden. 

Anfang letzten Jahres tauchten am Hansaplatz Plakate auf, die eine Platzordnung verkündeten und von einer Shopping-Center im Hansaviertel GmbH in Absprache mit dem Bezirksamt Mitte heraus gegeben wurde. Zusätzlich wurde ein privater Sicherheitsdienst installiert. Die Platzordnung hatte es in sich, denn sie bezog sich nicht nur auf Privatgelände, sondern ebenso auf öffentlichen Raum. Der Hansaplatz ist zum Teil öffentlich und zum Teil Privatraum, ohne dass ersichtlich ist, wo sich die Grenze befindet. Laut der Platzordnung war der Konsum von Alkohol, sowie das Nächtigen und Betteln untersagt. Dummerweise gibt es weder im Land Berlin noch in der BRD ein Gesetz, das irgend etwas davon untersagt, und damit war diese Platzordnung rechtswidrig. Zusätzlich war ein unnötiger Aufenthalt untersagt und dieser ist nicht nur nicht verboten, sondern stellt ein Grundrecht dar. In Art. 11 GG steht etwas von Freizügigkeit, was soviel bedeutet wie: Wir können uns im öffentlichen Raum aufhalten, wann wir wollen solange wir wollen und wie wir wollen, solange wir dabei keine Gesetze übertreten. Und damit war diese Platzordnung nicht nur rechtswidrig, sondern zusätzlich verfassungswidrig. Der Einsatz des Sicherheitsdienstes zur Überwachung der Platzordnung war ebenfalls rechtswidrig, denn er hebelte das Gewaltmonopol des Staates aus.

Nachdem wir von Gangway mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen diese Platzordnung vorgegangen sind, wurde diese geändert: Der unnötige Aufenthalt wurde gestrichen, ansonsten blieb sie weitestgehend gleich, bezog sich jetzt aber nur noch auf den privaten Raum. Damit ist die neue Platzordnung zwar rechtskonform, allerdings total bescheuert, da nun zwei verschiedene Regelwerke für ein und denselben Platz gelten, ohne dass man erkennen könnte, ob man sich auf dem privaten oder dem öffentlichen Gelände befindet. 

Im Dezember 2020 verschwanden schließlich über Nacht zwei denkmalgeschützte Parkbänke, die häufig von Obdachlosen genutzt wurden. Eine dieser Bänke tauchte in einem nahegelegenen Teich wieder auf. Die Bänke sind bis heute nicht wieder aufgestellt worden, obwohl sie Bestandteil des geschützten Baudenkmals Hansaviertel sind. Über diese Form der Kriminalität herrscht jedoch keine große Aufregung.“

Mehr zur Preisverleihung DIE GOLDENE KEULE im Blogbeitrag hierzu.