Vom Pizzaofen zu Hause: Die Schulbesuche beim Berliner Kindertheaterpreis

von Fabian Schrader, GRIPS-Theaterpädagoge

Beim Berliner Kindertheaterpreis wird den geförderten Autor*innen „das komplette Theater beratend zur Seite gestellt“, heißt es in unserem Blogartikel zur zweiten Workshopphase des Förderprogramms. Schließlich geht es um nichts Geringeres als um gelungene neue Stücke, die direkt an der sozialen Lebensrealität des Zielpublikums andocken. Es geht somit auch darum, Nachwuchsautor*innen für das junge Publikum zu gewinnen und sie produktiv und kreativ mit der Frage zu betrauen, wie und für wen sie schreiben.

Aus theaterpädagogischer Sicht spielen dabei die beiden Workshops mit Schüler*innen eine besondere Rolle. Es sind diese Begegnungen, die es den Schreibenden ermöglichen, ihre Zielgruppe schon im Schreibprozess beim ersten Workshop kennenzulernen; ihre Lebhaftigkeit, ihre Lautstärke, ihr Tempo, ihre Konzentrationsfähigkeit und Gruppendynamik ebenso hautnah zu erleben, wie den Austausch über ihre Interessen und ihre Weltwahrnehmungen.

Zu Gast sein in der Lebensrealität der Kinder

Im zweiten Workshop können die Autor*innen dann ihre ersten Textversuche mit den Kindern ausprobieren, lesen und besprechen. Und wenn die Autor*innen Glück haben, dann reagieren die Klassen so, wie man es von Kindern erwartet: unmittelbar, ehrlich und direkt.

Dabei ist von Anfang an klar: Das wird heute kein normaler Unterricht. Alle Tische und Stühle werden als erstes an die Seite gestellt und der Klassenraum zu einer großen Spielfläche und Bühne verwandelt. Mit theaterpädagogischen Methoden erforscht das Duo aus Theaterpädagog*in und Autor*in die Lebensrealität der Kinder: Was beschäftigt sie? Ist das Thema des Stückentwurfs relevant für sie? Wie gehen sie mit Herausforderungen in ihrem Leben um? Was stärkt und nährt sie? In vielen Bewegungsspielen und kleinen szenischen Aufträgen dürfen wir zu Gast sein und kurz in ihre Welt abtauchen.

Szenische Lesung zur Gala Berliner Kindertheaterpreis 2021
Es lasen und spielten: Lisa Klabunde, Jens Mondalski, Katja Hiller, Nina Reithmeier | Foto: David Baltzer / bildbuehne.de

Das ist oft deshalb eine intensive Erfahrung, weil Kinder feine Antennen haben für Dinge, die um sie herum passieren, sowohl die stärkenden als auch die herausfordernden. Als GRIPS Theaterpädagogik nehmen wir die Lebensrealität der Kinder immer ernst und bestärken sie darin, dass die Welt veränderbar ist. Dadurch packen wir auch schwierige Themen und starke Gefühle an – und suchen für sie eine Sprachlichkeit, sowohl im Workshop als auch auf der Bühne.

In „Das Leben ist ein Wunschkonzert“ bestellt sich die Protagonistin Anna immer wieder Pizza und träumt von einem eigenen Pizzaofen. Die Idee dazu kam während eines Schulworkshops im Rahmen des Berliner Kindertheaterpreises 2019 mit der Autorin Esther Becker. Die Kids wurden darauf hin gefragt: „Und was würdet ihr mit einem Pizzaofen zu Hause machen“. Die Antwort kam prompt: „Immer Pizza backen! Ist doch klar!“

Theater als Labor für zukünftige Generationen

Zum Jubiläum des Berliner Kindertheaterpreises 2016 schrieben Kirstin Hess, Stefan Fischer-Fels und Hendrik Adler:
„Das Kinder- und Jugendtheater hat schon heute die Aufgabe, inklusiv für alle Schichten und Kulturen zu sein und in seiner Publikumsstruktur die gesamte Stadtgesellschaft zu repräsentieren. Welche Anforderungen an Autoren  erwachsen daraus? 
Wir müssen nicht Anpassung an tradierte deutsche Theaterkunst postulieren, sondern uns selbst ändern. Eine weltoffene Identität ist nicht an ethnische Herkunft, nicht einmal an die deutsche Sprache gebunden. 
Das Theater kann ein Labor für eine zukünftige Gesellschaft sein. Die Autoren werden dabei eine entscheidende Rolle als Impulsgeber spielen! Es ist weltoffen für unterschiedliche Menschen, Geschichten, ästhetische Handschriften. Es lädt die Welt ein und geht in die Welt. Es feiert die Vielfalt. Es sucht, forscht und nimmt die Zuschauer dabei mit, lädt sie ein, dieselben Fragen zu teilen. Es ist nicht klüger als sein Publikum, es hat höchstens ein wenig mehr Erfahrung. Aber was ist schon Erfahrung in einer Welt, die sich rasend wandelt? (…)“