Interview: Dr. Christa Schäfer von der „DeGeDe“ über Beteiligung an Schulen

Es ist Oktober 2021 und die Uraufführung von Rinus Silzles Theaterstück „Stecker ziehen“ steht kurz bevor.
Regisseur Jochen Strauch, Schauspieler*innen und Team sind auf der Zielgeraden in die Endproben geradewegs auf die Uraufführung am 28. Oktober 2021 zu.
GRIPS Theaterpädagoge Fabian Schrader sprach im Rahmen der Produktion mit Dr. Christa Schäfer von der „Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V.“ über Gelingensbedingungen für Beteiligung an Schulen, den Mehrwert für Schüler*innen und Lehrer*innen und das frühe Lernen von demokratischen Prinzipien.

Auch Kinder haben ein Recht auf Mitbestimmung, wissen es aber oft nicht. Wie kann sich das ändern?
Es ist wichtig, dass Pädagog*innen und Erwachsene die Kinder über ihre Rechte informieren, und zu diesen Rechten gehört auch die Mitbestimmung. In der UN-Kinderrechtskonvention ist das Recht auf Partizipation sogar eines von vier Grundprinzipien. Die UN-Kinderrechtskonvention wurde 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und trat 1992 in Deutschland in Kraft. Es gibt interessante Internetseiten und Projekte, die sich der Aufarbeitung des Themas für Kinder verschrieben haben. Und schließlich erfahren immer mehr jüngere Kinder durch Jugendliche und junge Erwachsene von diesem Thema. Neuerdings wird in vielen Schulen der Klassenrat durchgeführt, auch hierdurch hören die Kinder von ihrem Recht auf Mitbestimmung.

Was bedeutet Mitbestimmung eigentlich im schulischen Kontext?
Mitbestimmung kommt leider immer noch viel zu wenig in der Schule vor, ist jedoch in vielen Bereichen möglich. Im Klassenkontext sollten Schüler*innen mitbestimmen können, wo sie sitzen möchten, wie das Klassenzimmer gestaltet wird, wo der nächste Wandertag hingeht. Außerdem sollte ihnen die Mitsprache im Unterricht gewährt werden, so z.B. welche Methoden ihnen beim Lernen wichtig sind und welche Teilaspekte von Unterrichtsstoff sie genauer betrachten möchten. Darüber hinaus sind Partizipationsmöglichkeiten natürlich auch im gesamten Schulleben, in der Schulorganisation und im Schulumfeld machbar.

Wie sieht das konkret in der Grundschule aus, welche Partizipationsformate sind dort denkbar und welche gibt es schon?
Da denke ich zunächst und als Erstes an den Klassenrat, der das Herzstück der Demokratiepädagogik ist. Der Klassenrat ist neuerdings (nach den Änderungen des Schulgesetzes) verpflichtend für die Schulen Berlins. Im Klassenrat lernen Schüler*innen wertschätzend miteinander zu kommunizieren und respektvoll miteinander umzugehen. Sie lernen,  Verantwortung für sich und andere sowie für das Lernen und ihre Umgebung zu übernehmen.
Natürlich gehört auch die Schülervertretung (SV) als formales Gremium zu den Partizipationsformaten an Schule. Es werden Klassensprecher gewählt, die sich dann ein Mal monatlich im Rahmen der SV treffen. Dort wird über die Belange der Schüler*innen diskutiert, es werden Beschlüsse gefasst und diese an die entsprechenden Gremien der Schule zur weiteren Entscheidung heran getragen.
An vielen Schulen gibt es zudem Schülermediator*innen (auch Streitschlichter oder Konfliktlotsen genannt). In diesen Projekten unterstützen ausgebildete Schüler*innen andere Schüler*innen dabei, ihre Konflikte eigenständig zu klären. So erhalten die Kinder und Jugendlichen der Schule die Möglichkeit, auch bei der Klärung schwieriger Situationen in die Eigenverantwortung gehen zu können.

Foto: David Baltzer / bildbuehne.de

Welche Faktoren tragen dazu bei, dass eine Beteiligung von Schüler*innen an der Gestaltung ihrer Schule und ihres Unterrichts gelingt?
Ich sehe verschiedene Faktoren, die dazu beitragen. Zum einen ist dies die Offenheit der Schulleitung und der Pädagog*innen an der Schule. Wenn diese den Kindern und Jugendlichen Partizipation zutrauen, so ist bereits eine wichtige Grundlage für den Prozess geschaffen. Dann müssen sich Kinder und Jugendliche auch selber (zu-)trauen, dieses Recht wahr zu nehmen. Dazu wird Selbstwirksamkeit benötigt, denn diese ist die Grundvoraussetzung für die Verantwortungsübernahme. Und es benötigt an der ein oder anderen Schule mitunter Mut, um sich einzusetzen und die Schule mit zu verändern. Haben Kinder von klein auf gelernt mitzusprechen und mitzubestimmen, so ist ganz klar auch der Prozess der Partizipation einfacher, als wenn sich erst zu einem späten Zeitpunkt die Möglichkeit hierzu eröffnet.

Gibt es Tipps und Tricks für Lehrer*innen, die gern mehr Beteiligung an ihrer Schule umsetzen wollen?
Ich glaube, hier muss zunächst erst einmal die Grundlage geschaffen werden. Es ist deshalb sicherlich sehr wichtig, dass Lehrkräfte informiert sind, in welchen Bereichen Beteiligung möglich ist, wie Mitsprache und Mitbestimmung funktioniert und wie Partizipationsprozesse gestaltet werden können. Danach kommt das „Austesten“ von Methoden und Verfahren, und erst danach die Tipps und Tricks, mit denen alles verfeinert werden kann. So weit sind wir jedoch meiner Meinung nach noch lange nicht.

Was lernen Kinder dadurch gezielt?
Kinder lernen einerseits wertschätzend miteinander zu kommunizieren und respektvoll miteinander umzugehen. Dazu gehört, dass sie ihre Meinung lernen zu äußern, dass sie lernen sich an Regeln zu halten, Gefühle zu äußern, Kompromisse einzugehen, einen Konsens zu gestalten, Entscheidungen auszuhandeln und vieles mehr. Das Großartige ist, dass sie diese Fähigkeiten natürlich auch in die weiterführenden Schulen mitnehmen, in ihr Studium, ihre Berufsausbildungen, in ihre zukünftigen Familien.
Andererseits lernen Kinder und Jugendliche Verantwortung zu übernehmen, Verantwortung für den eigenen Lernprozess, für den Unterricht, die Schule, die eigene Stadt und die globale Welt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang gerne daran, dass sich gerade in unserer heutigen Zeit viele Kinder und Jugendliche für eine Erhaltung des Klimas und eine Mobilitätswende einsetzen.

Und was ist dabei der Mehrwert für die Lehrkräfte und die Schulleitung?
Das ist ganz einfach und schnell gesagt. In Schulen, in denen Partizipation stattfindet, werden Entscheidungsprozesse auf eine breite kraftvolle Basis gestellt. Pädagog*innen, Schüler*innen und Eltern gehen in Aushandlungsrunden und gestalten gemeinsam „ihre Schule“. Studien haben ergeben, dass sich die Schulqualität zu einem großen Teil über den Grad der partizipativen Prozesse aller am Schulleben Beteiligten bestimmen lässt. Ein hoher Grad an Mitbestimmung bedeutet in der Regel eine „gute Schule“ und ein gutes Schulklima.
Letztlich bietet Mitsprache und Mitbestimmung in der Schule ein Übungsfeld für die Demokratie, und das sollte in unser aller Interesse sein.

Wenn du Bildungssenatorin wärst, welche drei Dinge würdest du sofort umsetzen?
Das wäre eine große Chance, drei Entwicklungen für Schule befördern zu können. Natürlich ist mein Wunsch für mehr Partizipation und Mitbestimmung an Schule für Schüler*innen, Eltern und Pädagog*innen gesetzt. Und daneben würde ich:

  • Projekte fördern, die mehr Miteinander in die Schule bringen.
  • Mehr selbstbestimmtes Lernen im Unterricht ermöglichen.
  • Die Digitalisierung von Schule voranbringen, denn wir haben ja gerade in der Corona-Zeit deutlich gespürt, wie wichtig dieses Thema ist.

Die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e. V. (DeGeDe) setzt sich als gemeinnützige Organisation für Demokratie im Bildungswesen ein. In der DeGeDe engagieren sich Fachleute aus Wissenschaft, Schulforschung und Schulpraxis, Verlagswesen und Bildungspolitik mit Eltern, Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden. Gemeinsam sind sie in der demokratiepädagogischen Wissenschaft und Praxis aktiv. 
Partizipation ist für die DeGeDe ein elementares demokratisches Prinzip.
Ziele der DeGeDe sind:

  • die Entwicklung demokratischer Handlungskompetenzen bei allen beteiligten Akteuren und Akteurinnen.
  • die Förderung demokratischer Organisationskulturen in schulischen und außerschulischen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen.
  • der Erhalt und die Weiterentwicklung einer lebendigen Demokratie.

    Mehr Infos unter: https://www.degede.de/

Alle Termine, Infos und Karten zu „Stecker ziehen“ gibt es auf unserer GRIPS Homepage.