Stückauszug „Innenhof. Oder was reimt sich auf Aua?“ von Ayşe Bosse

Ayşe Bosse ist Autorin, Schauspielerin und Trauerbegleiterin. Ihre Bücher zur Trauerbegleitung von Kindern und Jugendlichen wurden viel beachtet und in mehreren Sprachen übersetzt. Für ihren ersten Roman »Pembo – halb und halb macht doppelt glücklich!« wurde sie u.a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2021 nominiert. Ayse Bosse ist 1976 in Frankfurt am Main geboren und wuchs in einer türkisch-deutschen Familie auf. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Hamburg.

Ayşe Bosse wurde zur Teilnahme am Berliner Kindertheaterpreis vorgeschlagen vom Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V

Synopsis „Innenhof. Oder was reimt sich auf Aua?“ (ab 6 J.)

In einem Hinterhof treffen sich unfreiwillig zwei Kinder, die beide vaterlos sind. Während Eda aktiv um ihren Baba trauert, der erst kürzlich gestorben ist, versucht Paul Pascal hinter seinen Angeber-Geschichten zu verstecken, wie sehr es ihn schmerzt, dass sein Vater zwar lebt, aber nie für ihn da, nie erreichbar ist. Gemeinsam beschimpfen die Kinder den Tod, besingen Eis-Creme, und lernen ihren Nachbarn Björn kennen. Und wenn die Emotionen hochkochen, dann taucht eine etwas geheimnisvolle Figur namens Fühlerin auf.

Stückauszug aus der Lesung anlässlich der Preisverleihung 2023

Figuren:
4 Spieler*innen
EDA
PAUL PASCAL
GESTALT / BJÖRN / OZAN / JAMES BOND
ZEYNEP / FÜHLER*IN 

5. Szene
Nächster Tag. Eda sitzt im Innenhof und schreibt in ihr Buch.
Paul Pascals Balkontür öffnet sich vorsichtig. 

PAUL PASCAL           Hallo.
EDA                             Hallo.
PAUL PASCAL           Du…das wegen gestern tut mir leid.
EDA                             Ja, mir auch.
PAUL PASCAL           Ich meine, das, was ich über deinen Vater gesagt habe.
EDA                             Ja, ich auch. 
PAUL PASCAL           Okay.
Pause
PAUL PASCAL           Das ist sehr traurig.
EDA                             Was?
PAUL PASCAL           Dass … dein Vater… nicht mehr da ist.
EDA                             Dass dein Vater nie da ist, ist auch traurig.
Paul Pascal muss schlucken.
PAUL PASCAL           Was schreibst du da?
EDA                             Schimpfwörter.
PAUL PASCAL           Schimpfwörter?
EDA                             Ja. Ich beschimpfe jemanden.
PAUL PASCAL           Echt? Wen denn?
EDA                             Jemanden, der mich ätzend nervt.
PAUL PASCAL           Oh. 
Pause
EDA                             Nicht du. 
PAUL PASCAL           (atmet aus) Ich dachte schon… 
EDA                             Ich beschimpfe den Tod.
PAUL PASCAL           Den Tod?
EDA                             Jap. Der Nervt. Schon seit drei Wochen.
PAUL PASCAL           Verstehe. Lass mal hören!
EDA                             Ich weiß nicht…
PAUL PASCAL           Na, los! Nur aufschreiben bringt doch nichts.
EDA                            (räuspert sich) Gut… Knochenfresse!
PAUL PASCAL           Weiter!
EDA                             Sensenarsch!
PAUL PASCAL           Da geht noch mehr.
EDA                             Gesichtsgulasch, Warzenwurm, Knochenkackhaufen!
PAUL PASCAL           (grinst) Sehr gut! 
mit erhobenem Zeigefinger
PAUL PASCAL           Popelnascher!
EDA                             Popelnascher? 
PAUL PASCAL           (überlegt) Zombie-Popelfresser?!
EDA                             (lacht) Besser!
schreibt auf, überlegt
EDA                             Kotkapuze! 
Lachen
PAUL PASCAL           Pimmelloser Partypuper!
Lachen, müssen Luft holen…
Pause
EDA                             Du…vielleicht macht der auch nur seinen Job.
PAUL PASCAL           Wer?
EDA                             Na, der Tod.
PAUL PASCAL           Ein Scheissjob ist das!
EDA                             Voll. Fast so scheisse wie der von meiner Mutter.
PAUL PASCAL           In der Wäscherei?
EDA                             Ja. Baba ist erst vor drei Wochen gestorben und sie muss schon wieder arbeiten. Und das mitten in den Ferien. Aber sie darf den Job nicht verlieren, weißt du. 
PAUL PASCAL           Meine Mutter muss auch arbeiten. 
EDA                             Wo denn?
PAUL PASCAL           Im Reisebüro.
EDA                             Cool.
PAUL PASCAL           Nee, gar nicht cool. Weil wir nämlich kein Geld haben, um in den Urlaub zu fahren.
EDA                             Und dein Vater?
PAUL PASCAL           Was?
EDA                             Warum nimmt der euch nicht mit auf sein Schiff.
PAUL PASCAL           Ach, das geht gerade nicht.
EDA                             Wieso?
PAUL PASCAL           Ach, also…Du, meine Mutter hat mir Geld gegeben, für was zu essen. Wollen wir Eis holen? Ist genau genommen auch Essen.
EDA                             Stimmt und so ziemlich das Einzige, was ich im Moment essen kann.
PAUL PASCAL           Klar, bei der Hitze und so…
EDA                             Mein Vater hat zum Schluss nur noch Eis gewollt. Ich hab ihm jeden Tag eins geholt. Und mir auch.
PAUL PASCAL           Ich glaube…das habe ich gesehen. Was ist seine Lieblings Eis Sorte?
EDA                             Alles Mögliche. Schoko, Cookies and Cream, Kokosnuss. Aber am meisten Stracciatella.
PAUL PASCAL           Und deine?
EDA                             Erdbeere.
PAUL PASCAL           Ich mag am liebsten Zitrone-Schoko. Oben Zitrone, unten Schoko. In der Waffel. Erst triefend sauer und dann die süße Erlösung. Komm, wir gehen!
EDA                             Okay. Ich bring nur schnell das Buch rein. 
PAUL PASCAL           Das Buch ist dir voll wichtig, ne?
EDA                             Ja. Das ist Babas Buch. Mit Fotos und so. Ich schreib da alle Erinnerungen über ihn rein. Anne auch ein Bisschen, aber es fällt ihr schwer. Da steht alles Mögliche über ihn drin, damit ich nichts vergesse. (Stimme zittert) Ich habe Angst ihn zu vergessen, weißt du. Naja, und dann stehen da noch ein paar andere Sachen. Schimpfwörter zum Beispiel. 
PAUL PASCAL           (hält inne) Mein Vater, hat mal, in der Karibik, vierzig Kugeln Eis verdrückt. Alles Schlumpf Eis!
EDA                            (rollt lächelnd mit den Augen) Was du nicht sagst! 
PAUL PASCAL            Ja! Seine Zunge war danach ganz blau, ach was sag ich, sein ganzes Gesicht. Wie Papa Schlumpf, verstehst du? Papa Schlumpf!
Pause
PAUL PASCAL           (beschämt) Naja, … so ganz genau weiß ich nicht, ob das genau so passiert ist. 
EDA                             Ist schon okay. 
PAUL PASCAL           Wenn ich ehrlich bin, kenne ich meinen Vater gar nicht richtig. 
EDA                             Echt? Das ist…traurig.
PAUL PASCAL           Ich habe ihn das letzte Mal gesehen, als ich fünf war. Ich hätte auch gerne so ein Buch über ihn. Dann müsste ich mir nicht andauernd Geschichten über ihn ausdenken.
EDA                             Schreib sie auf! Ich glaube deinem Vater würden die Geschichten gefallen.
PAUL PASCAL           Echt? Meinst du?
EDA                             Bestimmt. 

6. Szene 

Paul Pascal und Eda kommen mit ihrem Eis zurück in den Innenhof.
Eda schaut sich nach der Gestalt um. 

PAUL PASCAL           Alle sind im Urlaub.
EDA                             Ja, die haben´s gut. Deshalb war kaum jemand da, auf Babas Beerdigung.
PAUL PASCAL           Ich wäre gekommen, wenn ich´s gewusst hätte.
EDA                             Danke. Auch für das Eis. 
PAUL PASCAL           Ich wäre mit ‘nem Eiswagen gekommen! 
EDA                             Das hätte ihm gefallen.
PAUL PASCAL           Was glaubst du, wo er jetzt ist?
EDA                             Hmmm … Ich glaube … er ist irgendwo am Meer, weil er das so liebt. Er hatte früher so `ne verrückte Badehose, mit Palmen drauf, die hat er an. Und seinen knallroten Fahrradhelm, auf den er immer so stolz war. 

Ozan betritt in Palmen Badeshorts, rotem Fahrradhelm, Korb oder Tasche und mit buntem Badetuch um die Schultern die Bühne. Genießt die Sonne und schaut auf das Meer.

PAUL PASCAL           Ein Fahrradhelm? Am Strand?
EDA                             Als Schutz vor Kokosnüssen. Wusstest du, dass auf der Welt jedes Jahr hundertfünfzig Menschen von Kokosnüssen erschlagen werden?
PAUL PASCAL           Echt? Naja, tot isser ja nu schon. 
EDA                             (kichert) Stimmt. Dann trägt er ihn einfach so, wegen Style.
PAUL PASCAL           Unbedingt. 
EDA                             Und sein Fußballtrikot. Er hat früher gekickt, weißt du? Stürmer. Nummer 11 und darunter sein Name. Ozan.

Ozan nimmt das Badetuch von den Schultern, darunter trägt er sein Trikot. Rollt sein Badetuch aus, hinten sein Name und die 11.

PAUL PASCAL           Sonnenbrille?
EDA                             Na klar! Er liegt da auf seinem Handtuch und isst genüsslich ein Dondurma.

Ozan zieht eine Sonnenbrille auf und hält einen Eisbecher in der Hand.

PAUL PASCAL           Ein was?
EDA                             Das heißt Eis auf Türkisch.
PAUL PASCAL           Stracciatella!
EDA                             Genau! Und es läuft natürlich Musik. Er liebt Hiphop. Der Beat geht so richtig rein in seinen Körper.

(ein paar Takte Beat)

Möchten Sie den ganzen Stücktext lesen? Dann schicken Sie bitte einfach eine Mail an dramaturgie@grips-theater.de, Ihre Anfrage wird an den Autoren weitergeleitet.

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Der Berliner Kindertheaterpreis ist ein von GRIPS und GASAG gemeinsam seit 2005 ausgeschriebener und entwickelter Wettbewerb für Autorinnen und Autoren für das zeitgenössische Kindertheater.