Die Schriftstellerin Kirsten Fuchs hat eigens für die diesjährige Preisverleihung Berliner Kindertheaterpreis, deren Preisträgerin 2017 sie war, darüber geschrieben, was es heißt, als Theaterautor*in den eigenen Text in die Hände eines Theaters zu geben.
Im Moment ist sie übrigens wieder in dieser Situation, einen neuen Stücktext aus den Händen in die eines Theaters zu gen: Die Proben für Kirsten Fuchs‘ nunmehr 5. Stück* haben Anfang Mai begonnen: Am 15. Juni 2023 ist die Uraufführung im großen Haus von DER BUS BRENNT (Regie Robert Neumann).
„Meine Texte sind nicht wie meine Kinder. Meine Texte werden ungefähr so, wie ich das mir vorgestellt habe. Meine Kinder werden so wie sie sich das vorstellen. Nein, wer Texte mit Kindern vergleicht, hat vielleicht gar keine Kinder, zumindest nicht meine.
Wenn ich für das Theater schreibe, dann weiß ich, dass ich für das Theater schreibe.
In meinem Fall war es bisher meistens so, dass das GRIPS Theater bei mir Stücke bestellt hat.
Das heißt, das GRIPS gibt mir Stoff oder, nein, einen Gutschein für einen Stoffladen. Wenn Tobias mein Dramaturg ist oder Ute, dann fragt Tobias oder Ute „Soll ich mit in den Laden? Hilft dir das?“. Ich sage ja oder nein.
Ich kann den Stoff ein bisschen umfärben, aufdröseln und neu weben. Ich probiere rum, Entwürfe aus Papier, bevor ich den Stoff anschneide. Tobias und Ute sagen „Zeig, wenn du willst.“ Und dann will ich oder nicht.
Gottseidank fragen Tobias oder Ute nicht zu oft, wie das Ende wird, wenn ich es noch nicht TOTAL ABSOLUT weiß. Die Antwort würde sie vielleicht verunsichern, mich auch.
Ich versuche einfach keine Schmetterlinge zu erschießen, wenn ich sie noch beobachten möchte.
Wenn ich das Ende festlege, als gäbe es keine anderen möglichen Enden, dann fliegt so ein Schmetterling auf gar keinen Fall dahin, wo am meisten Nektar zu holen ist. Ich muss warten und hinterherlaufen.
Tobias oder Ute fragen „Weißt du wo du hinläufst?“. Ich sage „Ja, klar.“
Denn das Ziel ist da, wo die Schmetterlinge ganz frei hinfliegen. Das ist doch ein Ziel.
Das alles im übrigen in einem Schmetterlingshaus, das ich vorher gebaut habe. Aber ich kann gut so tun, als wären die Scheiben nicht da.
Dann wird es interessant. Die Übergabe des Stückes an neue Besitzer.
Ich habe also etwas fertig. Nehmen wir mal das Heimatkleid. Da ist es logischerweise ein Kleid geworden. Das GRIPS hat eins für Katja bestellt. Thema war klar, Regie war klar. Macht Tim. Regie wird unruhig, sagt sowas wie „Bauprobe“.
Ich treffe mich also mit Tim und Tim bekommt so einen gierigen Blick, als ich ihm das Kleid zeigte. Als würde es ihm gehören. Ich verstehe, aha, es gehört ihm schon.
Ich sehe sofort, dass er das Kleid wieder auftrennen wird, um sich die Einzelteile anzusehen, um die Nähte dann nach außen zu drehen und es enger zu machen.
Dann gibt es noch ein Treffen. Fassung 2 des Kleides. Hab noch Ärmel und Taschen rangemacht. Katja ist auch dabei. Tim hantiert mit dem Kleid herum, als wäre es seins, aber Katja hat so einen gierigen Blick irgendwie. Ich sehe sofort, dass sie die Druckknöpfe nicht mag, dass sie Schulterpolster will.
Ab da ist es also auch Katjas Kleid. Und Tims auch. Also meins jedenfalls nicht mehr. Ich hatte es ja auch nicht für mich gemacht. Nur mal probegetragen, aber Katja steht es viel besser, wirklich.Ich mache das Stück fertig, Fassung 3, und dann, spätestens dann fetzen sie mir es aus der Hand. Sie haben Bock drauf. OK. Ich komme dann zur Probe mal vorbei.
Wenn ich gefragt werde, ob ich es mir so vorgestellt habe, sage ich „auf keinen Fall!“
Was ich mir vorgestellt habe, ist wirklich nicht so spektakulär. In meinem Kopf sind keine Bühnebilder. Alles sieht genauso aus wie es aussieht.Es gibt inzwischen drei Inszenierungen vom „Heimatkleid“ und sie sehen alle nicht aus, wie ich es mir vorgestellt habe. Vermutlich würde niemand Regiesseur*in werden, wenn alles so aussehen müsste wie in einem Schriftstellerhirn. Und jede Inszenierung wäre dann gleich. Das geht doch gar nicht.
Man kann auch Schmetterlinge gleich aufs Brett nageln, damit auf eine Leiter klettern und flappflapp rufen, aber ich finds weniger überzeugend.
Ich schreibe, weil ich das kann. Robert oder Grete, Tim und Maria inszeniert, weil sie das können. Katja, Regina, Jens, Amelie und Lisa spielen, weil sie das können.
Letzten Endes lege ich das Ei bloß, ob es dann gekocht, gebraten, ausgebrütet oder angemalt wird ist nicht meine Arbeit.
Die anderen machen ein Ei aus dem WORT EI. Ich schreibe nur EI hin, aber sie machen, dass ein Ei da ist.
Ein Ei, ein Kleid, was denn nun? Na, beides. In Kleid ist doch Ei drin.
Es bleibt aber immer das gleiche, was ich sagen will: Wir wollen alle das Beste für das Stück.Meinetwegen hätte übrigens auch Regine den Text hier vorlesen können.
Und letzten Endes gehört das Stück sowieso dem Publikum.
Kirsten Fuchs zur Preisverleihung Berliner Kindertheaterpreis 2023, einem Wettbewerb von GRIPS und GASAG
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