Interview: Aktivistin Marleen Appuhn von „Fridays for Future“ Berlin über ihren Aktivismus

GRIPS Dramaturg Tobias Diekmann im Gespräch mit Aktivistin Marleen Appuhn über Momente des Erfolges und Scheiterns im Umweltaktivismus, Vorurteile gegenüber der Umweltbewegung und Verantwortungen über die Generationen hinweg.
„Fridays for Future“ Berlin sind offizielle Kooperationspartner*innen von „Himmel, Erde, Luft und Meer„, das am 08. September Premiere am GRIPS Hansaplatz feiert.

Was gibt dir die Energie, dich bei „Fridays for Future“ zu engagieren? Wer oder was motiviert dich?
In wenigen Jahren haben wir einen Punkt erreicht an dem so viel CO2 in der Atmosphäre ist, dass eine weitere Erwärmung der Erde nicht mehr aufzuhalten ist. Millionen von Menschen verlieren auf Grund der globalen Erderwärmung schon jetzt ihre Lebensgrundlage  und Milliarden werden folgen, sollten wir das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen. Was ich aufzeigen möchte ist, wie krass die Auswirkung dieser Erderwärmung ist und dass es mich fassungslos macht, mit welcher Fahrlässigkeit in der aktuellen Politik mit der Zukunft unserer Erde gespielt wird. Unter diesen Umständen scheint es mir geradezu absurd sich nicht gegen den Klimawandel zu engagieren.

Welche Rolle spielt die Gemeinschaft für dich?
„Fridays for Future“ hat mir gezeigt, wie unfassbar kraftvoll eine Bewegung sein kann, wenn genug Menschen zusammen für etwas einstehen. Noch vor drei Jahren war Klimawandel ein politisches Thema unter vielen, heute ist es aus keinem Wahlkampf und keiner politischen Debatte mehr wegzudenken. Gerade auf den globalen Klimastreiks hat man diese Energie und diese Entschlossenheit, die von tausenden jungen Menschen ausging, gespürt und dieses Gefühl, das gibt mir Hoffnung.

Wo siehst du eure größten Erfolge bisher?                                                                                   
Ich glaube, das Wichtigste, was „Fridays for Future“ geschafft hat, ist das Thema Klimagerechtigkeit ein für alle mal in das Zentrum öffentlicher und politischer Aufmerksamkeit zu rücken. Heute kann keine Partei das Thema einfach aussitzen oder ignorieren. Den gesellschaftlichen und politischen Wandel im Bewusstsein für das Thema hat sich letztendlich sogar in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts niedergeschlagen, welches unsere Forderungen als unser Recht erkannt hat.

Wo hast du Momente des Scheiterns erlebt? Und wie bist du damit umgegangen?                  
Ein herber Rückschlag war die Verabschiedung des Klimapaketes der Bundesregierung, welches sich eher als „Päckchen“ beschreiben lässt und in keinster Weise geeignet ist, den Zielen des Pariser Klimaabkommens gerecht zu werden. Es hat uns gezeigt, wie wenig die Politik noch immer verstanden hat, und dass man immer noch versucht mit dem Klima Kompromisse zu machen. Aber genau deshalb ist unser Kampf so wichtig und wir werden ihn nicht beenden, solang die Politik ihrer Verantwortung nicht gerecht wird.

Was sind die Momente der Hoffnung?                                                                                          
Jedes Mal, wenn man inmitten von tausenden Menschen auf einer Demo steht, die alle für das eine Ziel der Klimagerechtigkeit kämpfen, kann man gar nicht anders als Hoffnung zu schöpfen. Dann hat man das Gefühl, dass so viele Menschen doch nicht langfristig überhört werden können.

Ist ein erklärtes Ziel von „Fridays for Future“, dauerhaft in politische Prozesse eingebunden zu sein? Oder seht ihr Euch da eher in der „Opposition“?                                                                  
„Fridays for Future“ ist politisch unabhängig und nur als NGO vereinzelt in politische Prozesse wie bspw. Gespräche mit Politiker*innen oder Anhörungen involviert. Unsere eigentliche Arbeit findet aber auf der  Straße statt , wir wollen Druck auf die Politik ausüben, damit diese endlich ihrer Verantwortung gerecht wird. Unsere Aufgabe als junge Schüler*innen und sehr jungen Menschen ist es nicht in die Berufspolitik einzusteigen.

Foto:David Baltzer / bildbuehne.de

Wo siehst du ganz konkret Auswirkungen eures Handelns?
Ganz konkret haben wir als „Fridays for Future“ die Verhinderung der Abwrackprämie sowie die Entscheidung des Bundesgerichtshof erreicht, welche die bisherigen Anstrengungen der Bundesregierung für verfassungswidrig, weil unzureichend erklärt. Insgesamt besteht unser größter Erfolg aber in der öffentlichen Sensibilisierung für das Thema, welches klimaschädliche politische Entscheidungen zunehmend nicht mehr mehrheitsfähig machen.

Wo sind für dich die Grenzen des Klimaschutzes erreicht? Was kannst du verantworten und was nicht? Wie findet ihr da einen Konsens?
Wir sind derzeit sehr weit davon entfernt politische Entscheidungen zu treffen, die über die notwendigen CO2-Reduktionen hinausgehen. Mit den richtigen Konzepten steht eine sehr schnelle und effektive CO2-Reduktion auch keinesfalls im Konflikt mit anderen Grundrechten. Grenzen sind für uns allerdings dann erreicht, wenn im Kampf für unsere Ziele Gewalt angewendet wird und Menschen zu Schaden kommen. Dies geschieht niemals in unserem Namen und ist kein legitimer Weg des Widerstandes.

Mit welchen Vorurteilen habt ihr zu kämpfen?
Oftmals wird uns vorgeworfen doch nur Schule schwänzen zu wollen oder dass wir selbst von Mutti mit dem SUV durch die Gegend gefahren würden. Das ist nicht nur falsch, sondern absurd und ein klassischer Whataboutism, also eine Argumentationsstrategie, die gezielt vermeidet, inhaltlich auf unsere Argumente eingehen zu müssen und stattdessen auf vermeintliche persönliche Unzulänglichkeiten einzelner hinzuweisen. Dabei betonen wir immer wieder, dass es uns eben nicht um Konsumkritik sondern Systemwandel geht. Auch, wer ab und zu Auto fährt oder Fleisch isst, kann Klimaaktivist*in sein. Wir brauchen ein System, das auf Klimaschutz ausgerichtet ist und keine persönlichen Angriffe aufgrund des individuellen Konsumverhaltens. Und dass wir in der Schulzeit auf die Straße gehen müssen, um Politiker*innen an deren Verantwortung zu erinnern, ist eigentlich eine Tragödie.

Foto: David Baltzer / bildbuehne.de

Unterscheiden sich da Vorurteile der älteren gegenüber der jüngeren Generation?
Mein subjektiver Eindruck ist, dass gerade ältere Menschen sich oftmals von uns persönlich angegriffen fühlen und denken, wir würden ihnen etwas wegnehmen wollen. In der jüngeren Generation ist das Bewusstsein, dass wir gar keine andere Wahl haben, als unsere Emissionen zu reduzieren, weiter verbreitet. Aber natürlich kann man das nie verallgemeinern.

In welcher Verantwortung siehst du die ältere Generation?                                           
Grundsätzlich ist der Klimawandel nicht nur ein Problem der Zukunft, er bedroht schon jetzt ganz real die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen besonders im globalen Süden. Egal in welcher Generation, ist es also unser aller Verantwortung, für die Klimaschäden, für die wir als Industrienationen verantwortlich sind, gerade zu stehen und ihr Voranschreiten einzudämmen. Aber auch unser Generation gegenüber hier im globalen Norden sehe ich eine Verantwortung, die Entscheidungen, die heute getroffen werden und das CO2, das heute emittiert wird, ganz konkrete Auswirkungen darauf hat, wie gut wir noch in Zukunft leben können. Wenn es um die eigenen Kinder oder Enkel geht, wollen die Menschen oftmals nur das Beste. Ich würde mir wünschen, dass diese Fürsorge sich auch in politischen Handlungen niederschlägt.

Und in welcher die jüngere Generation?                                                                                      
Wir dürfen in keinem Fall den Fehler machen, die Verantwortung allein auf die ältere Generation und die bereits gemachten Entscheidungen und Emissionen abzuwälzen. Die Folgen des Klimawandels sind bereits heute für viele Menschen spürbar und wir alle, die wir in den Industrienationen für den Großteil der globalen Emissionen sorgen, tragen diesen Menschen gegenüber Verantwortung. Wir jungen Menschen stehen gleichermaßen in der Pflicht, jetzt bessere Entscheidungen zu treffen oder für diese einzustehen. Für die „most affected people and areas“, aber auch für die Zukunft unserer Mitmenschen.


„Himmel, Erde Luft und Meer“ von Christian Giese nach Texten von Volker Ludwig feiert am 08. September Premiere am GRIPS Hansaplatz. Alle Termine und Karten auf unserer GRIPS Homepage.

Mit: Ludwig Brix, Marcel Herrnsdorf, Lisa Klabunde, Marius Lamprecht, Frederic Phung, Helena Charlotte Sigal und dem Musiker Matthias Bernhold.

Regie: Petra Schönwald
Bühne und Kostüme: Raissa Kankelfitz
Musikalische Leitung: Thomas Keller
Dramatugie: Tobias Diekmann
Theaterpädagogik: Fabian Schrader

Zur Premiere veröffentlichen wir außerdem das „#GRIPSistda KlimaPowerPaket“ für Menschen ab 9 Jahren hier auf unserem GRIPS Blog.