Wenn Kinder für ihre Rechte auf die Bühne gehen

Rückblick auf den Kinderclub im GRIPS Theater.
Ein Interview mit Jana van Beek (Spielleitung) und Kokomini Nemesi (Choreograph)

Die Spielzeit 2024/25 im GRIPS Theater brachte mit der Kinderclub-Produktion „Stimme“ ein besonders intensives und bewegendes Stück von den Kindern auf die Bühne. Die Theaterpädagogin Jana van Beek und die Choreografin Koko Nemesi führten und begleiteten den kreativen Prozess gemeinsam mit den Kindern. Im Interview mit unserern Theaterpädagogin Lama Ali erzählen sie von ihren Erfahrungen. Die Premiere fand am 07.02.2025 um 18 Uhr im GRIPS Podewil statt:

GRIPS: Euer Thema im Club war jedoch ‚Kinderrechte‘. Wie haben die Kinder reagiert, als sie erfuhren, dass ihr Stück dieses Thema behandeln wird?

Jana van Beek: Die Kinder haben sich bewusst für den inklusiven Kinderclub mit dem Thema „Stimme“ entschieden. Sie wussten, dass es darum gehen würde, sich Gehör zu verschaffen, laut zu sein und ihre Meinung zu zeigen. Schon zu Beginn waren sie sehr daran interessiert, sich mit ihren eigenen Rechten auseinanderzusetzen. Wir haben ihnen die Infos gegeben, dann haben sich eigenständig darüber weiter informiert und brachten Beispiele aus ihrem eigenen Leben ein. Gemeinsam haben sie überlegt, was sie gerne verändern würden, was sie wütend macht und wo sie das Gefühl haben, dass etwas in ihrem Umfeld nicht in Ordnung ist. Der Prozess, sich mit den eigenen Rechten zu beschäftigen, war für die Kinder eine spannende Entdeckung.

GRIPS: Der Spielclub im GRIPS Theater ist kein klassischer Schauspielkurs, und zu Beginn gibt es noch keinen fertigen Text. Die Kinder entwickeln ihr Theaterstück selbst. Wie viel Mitspracherecht hatten sie bei der Wahl der Szenen, der Gestaltung der Figuren und der Choreographie?

Jana van Beek: Genau wie beim Thema war es uns auch bei der Entwicklung des Stücks unglaublich wichtig, die Perspektiven der Kinder von Anfang an mit einzubeziehen. Sie sollten den Raum bekommen, aktiv mitzuentscheiden, was am Ende auf der Bühne zu sehen ist. Während der Proben haben wir den Kindern Impulse gegeben, die sie dann weiterentwickelt und in Szenen umgewandelt haben. Eine der kreativen Ideen, die ganz aus den Kindern selbst kamen, war die Idee eines Monopoly-artigen Spielfeldes. Während einer Pause spielten sie Spiele und überlegten, wie es wäre, ein Spielfeld als Grundstruktur für ihr Theaterstück zu nutzen. Das Spielfeld ist dabei die starre Struktur der Gesellschaft, in der Kinder nicht viel Gehör bekommen. Darin wollten sie ihre eigenen Themen und Rechte aufzeigen und aus den starren Strukturen des Spielfeldes ausbrechen.

Kokomini Nemesi: Auch die Tänze und Bewegungsabfolgen auf der Bühne wurden von den Kindern selbst entwickelt. Zum Beispiel haben wir gemeinsam überlegt, wie sich Kinder im Klassenzimmer auf einem Stuhl gerne bewegen würden, und was man mit dem Körper alles auf einem Stuhl tun kann.
Gegen Ende des Prozesses mussten wir dann immer mehr Entscheidungen treffen, welche ihrer Ideen und Szenen in einem sinnvollen Zusammenhang stehen können, und wer, was, wann und wie macht. Sie hatten trotzdem immer die Möglichkeit, dass sie sich über die Entscheidungen und den Verlauf des Stücks mit uns austauschen, Fragen und Unverständlichkeiten klären und weitere Impulse einbringen.

copyright: david baltzer / bildbuehne.de

GRIPS: Das Stück heißt ‚Stimme‘. Wie hast du als Choreografin Stimme und Bewegung miteinander verbunden? Gibt es eine spezielle Methode, die du uns verraten kannst?

Kokomini Nemesi: Vor dem Probenbeginn zeigten sich viele Möglichkeiten auf, über die Arbeit mit dem Körper, mit Bewegung der Bedeutung der Stimme Raum zu schaffen. Alleine die Sichtbarkeit eines Körpers erzählt schon oft darüber, was die Person für eine Stimme hat bzw. was ihr für eine Stimme gegeben wird. Auch war es spannend, über den Körper die Frage des „Bestimmens“ zu bearbeiten. Wer bestimmt über wen? Wer darf bestimmen und wer nicht? Übungen dazu sind zum Beispiel, dass eine Person Körperteile einer anderen Person manipuliert, ein gegenseitiges Bewegt-werden im Raum.  Welcher Körper lässt sich wie von anderen bewegen und wie zeigen wir Resistenz dagegen?

Wir haben zu Beginn des Prozesses einige Bewegungsübungen zu diesen Fragen gemacht. Im Laufe des Prozesses entwickelten sich die Fragen unseres Stücks in andere Richtungen und die Choreografien, die entwickelt wurden, waren szenische Unterstützungen für die Aussagen, die die Kinder treffen wollten. Zum Beispiel, als die Kinder gemeinsam eine Choreografie schaffen, indem sie sich auf ihrem Stuhl im Klassenzimmer auf verschiedenste Art bewegen, und damit zeigen, dass sie keine Lust mehr haben, mehrere Stunden am Tag „ordentlich“ auf diesen Stühlen zu sitzen und zuzuhören. Oder, wo sie eine Choreografie auf dem Spielfeld schaffen, und sie damit zeigen wollen, wie sie aus diesem fremdbestimmten Spielfeld ausbrechen können und ihren eigenen Platz daraus bauen mit ihren eigenen individuellen und gemeinsamen Bewegungen. 
Eine bestimmte Methode ist schwierig zu benennen. Für die Kinder war es, glaube ich, hilfreich über Bewegung zu arbeiten, weil es ihnen weitere Möglichkeiten bietet, Zusammenhänge zu finden, und weil sie damit themenbezogene körperliche Erfahrungen machen konnten. Wir haben die Choreografie als Mittel genutzt, das die Szenen bildhaft in Raum und Zeit unterstützt, und damit wieder zusätzliche oder das Thema bestärkende Assoziationen aufwirft. 

GRIPS: Erzählt uns etwas über die Soundästhetik in eurem Club. Komponieren die Kinder eigene Klänge oder arbeitet ihr mit Musik, Chören und Texten?

Jana van Beek: In unserem Prozess haben wir auch mit der Stimme gearbeitet. Die Kinder haben entdeckt, wie sie ihre eigene Stimme nutzen können, um Rhythmen zu erzeugen, die wir später auf einer Loopstation einspielten. So entstand ein Sound, den wir in den Szenen verwenden konnten, um sie mit den Stimmen der Kinder zu untermalen. Zudem haben wir gemeinsam einen Song entwickelt. Die Kinder verfassten Zeile für Zeile den Text, und mit der Unterstützung von Line Papendieck entwickelten sie ihre eigene Melodie, die ebenfalls aus ihren Stimmen entstand. Diese kreative Auseinandersetzung mit der Stimme war ein zentraler Bestandteil des Prozesses und hat das Stück akustisch intensiv bereichert.

GRIPS: Denkt ihr, dass die Kinder durch diese Theatererfahrung mehr über ihre Rechte gelernt haben? Hat ihnen der kreative Prozess geholfen, ihre Rechte selbstbewusster einzufordern?

Jana van Beek: Die Theatererfahrung hat den Kindern geholfen, mehr über ihre Rechte als Kinder zu erfahren. Immer wieder haben wir gehört, dass die Kinder in ihrem Alltag anderen von den Kinderrechten erzählten, sie aufklärten oder sogar begannen, ihre eigenen Rechte in Gesprächen mit Erwachsenen einzufordern. Ein Beispiel dafür ist das Recht auf Privatsphäre oder auch das Recht, zu Hause mitzuentscheiden. Sie haben sich intensiv mit ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen beschäftigt und gelernt, wie sie diese klar und selbstbewusst formulieren können. Diese Erfahrung hat ihnen geholfen, sich ihrer Rechte bewusster zu werden und sie aktiv einzufordern – sei es im privaten oder öffentlichen Kontext.

Kokomini Nemesi: Auch unsere Szene, in der die Kinder ihre Wünsche für die Gesellschaft formuliert haben, ist aus diesem Prozess entstanden. Darunter waren Wünsche wie ein friedliches Miteinander, eine Welt ohne Krieg, ein umweltbewusstes Leben, Autos, die mit Obst oder Gemüse angetrieben werden, ein barrierefreies Berlin und ein Zuhause für alle Menschen.
Ihr eigenes Stück zu ihren Rechten und ihren Themen, die ihnen wichtig sind, von Anfang an mitzugestalten, und das dann mehrmals vor den Leuten, die damit im Zusammenhang stehen, wie ihre Eltern, Lehrer*innen, Geschwister etc., aufzuführen, hat ihnen hoffentlich die Erfahrung mitgegeben, dass ihre Meinung bedeutend ist, und dass ihnen zugehört wird, wenn sie dafür einstehen.

Im Rahmen des Festivals ZusammenSpiel laden zwei Kinder des Clubs „Rakete Jetzt!“ und Jana van Beek am Do, 27.03.25 von 13:30 bis 15 Uhr zu einem Workshop zum Thema „(Mit)bestimmen“ ein.
Gemeinsam erkunden sie, wie Kinder Mitbestimmung einfordern und welche Rolle ihre Rechte dabei spielen. Sie zeigen, wie ihr Theaterstück „STIMME“ entstanden ist, teilen ihre Erfahrungen und probieren kreative Methoden aus. Es wird gespielt, experimentiert und die Stimme erhoben.
Für die Teilnahme am Workshop ist es nicht erforderlich, das Theaterstück „STIMME“ zu kennen!