Ein Gespräch mit der Erziehungs- und Familienberatungsstelle des Pestalozzi-Fröbel-Hauses
Was müssen Eltern bei einer Trennung unbedingt berücksichtigen, welche Unterstützung brauchen Kinder vor und nach einer Trennung, was schadet den Kinder am meisten, das sind einige der Fragen, die unsere Theaterpädgogin Lama Ali dem multiprofessionellen Team der Erziehungs- und Familienberatungsstelle (EFB) des Pestalozzi-Fröbel-Hauses Berlin gestellt hat, Dr. Anne Wietzker und Maria El-Safti haben ihr geantwortet (dafür herzlichem Dank!).
GRIPS: Welche Umgangsmodelle nach Trennung gibt es? Und gibt es ein bestimmtes Modell, das sich in der Praxis als erfolgreich erwiesen hat?
ES/AW: Die drei am meisten praktizierten Modelle sind:
Das Residenzmodell: Das Kind/die Kinder leben bei einem Elternteil und sehen den anderen Elternteil in der Regel an Wochenenden, in den Ferien oder auch für kürzere Zeit zwischendurch in der Woche.
Das Wechselmodell: Das Kind/die Kinder leben abwechselnd bei beiden Eltern. Das besagt zunächst erst einmal nur, dass beide Eltern Alltag und Freizeit mit den Kindern haben, also, dass nicht ein Elternteil nur die Wo- chenenden und die Ferien mit dem Kind verbringt. Beide Eltern sind dafür zuständig, dass der Alltag funktioniert. In der Regel wird ein für alle passender Rhythmus festgelegt, z.B. Woche/Woche wie in dem Theaterstück. Dafür ist eine gute Form der Kooperation der beiden Eltern wichtig. In manchen Fällen ist das nicht einfach.
Das „Nestmodell“: Bei diesem Modell leben die Kinder in der Wohnung, die Eltern wohnen abwechselnd bei den Kindern und wechseln sich in der Betreuung ab. Dieses Modell hat vor allem die Kinder im Blick. Sie können in der vertrauten Umgebung bleiben und ihnen bleibt der Stress des Wechsels erspart. Aus der Erfahrung ist das Nestmodell für die Eltern auf Dauer sehr herausfordernd, es ist auch in der Realität meist nicht leicht umzusetzen, weil ja – zumindest, wenn jeder Elternteil eine eigene Wohnung haben möchte, im Prinzip drei Wohnungen gebraucht werden, was in Berlin z.B. nur mit einem enorm guten finanziellen Hintergrund möglich ist.
Die Beratung bietet einen neutralen Raum, in dem der schwierige Prozess der Trennung begleitet wird, die Kinder werden in den Blick genommen, ihre Bedürfnisse und Interessen beachtet und ernstgenommen.
GRIPS: Warum ist es bei der Trennung der Eltern wichtig, sich Beratung zu holen?
ES/AW: Eine Trennung ist für die Eltern eine große Herausforderung, so vieles muss neu bedacht und organisiert werden: Ein neue Wohnung, die Finanzen, die Betreuung der Kinder und vieles mehr. Gleichzeitig ist die Trennung auch eine große emotionale Herausforderung, mit der enorm viele Gefühle verbunden sind, z.B. Trauer, Wut, Angst, Erleichterung … die Liste ist lang. Und oft gehen die Konflikte, die es schon in der Beziehung gab, nach der Trennung weiter, wenn es um die Kinder geht.
Die Beratung bietet einen neutralen Raum, in dem der schwierige Prozess der Trennung begleitet wird, die Kinder werden in den Blick genommen, ihre Bedürfnisse und Interessen beachtet und ernstgenommen. Und eine Beratung ist eine gute Möglichkeit, Dinge zu ordnen, Anliegen und Bedenken Raum zu geben und gemeinsame Lösungen zu finden.
GRIPS: Können die Kinder auch Beratung von euch holen ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten?
ES/AW Natürlich können auch Kinder und Jugendliche zu uns kommen. Auch sie haben ein Recht auf Beratung. (…) Wenn Eltern sich trennen, haben Kinder oft viele Fragen. Sie möchten wissen, wie es weitergeht. Ob sie umziehen müssen, sie weiterhin ihre Schule besuchen und ihre Freunde treffen können, wann sie bei welchem Elternteil sind und so weiter.
Manchmal ist es gut, die Kinder in der Beratung nach ihren Wünschen zu befragen, so dass es den Eltern erleichtert wird, diese mit einzubeziehen.
Für Kinder kann es hilfreich sein, diese Themen mit einer neutralen Person zu besprechen, da sie manchmal in dem Konflikt sind, ihre eigenen Bedürfnisse zu äußern oder denen der Eltern gerecht werden zu wollen.
„Für ein Kind, dessen Eltern sich oft streiten und das dauernd in Angst lebt, der Streit könne jederzeit wieder losgehen, oder es ist eine ständig angespannte Atmosphäre zu Hause – für dieses Kind kann die Trennung sogar eine Erleichterung sein.“
GRIPS: In welcher Phase der Trennung braucht das Kind am meisten Stärkung, vor oder nach der Trennung?
ES/AW Wie die Trennung sich auf das Kind auswirkt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Natürlich auch, wie es die Trennung erlebt.
Für ein Kind, dessen Eltern sich oft streiten und das dauernd in Angst lebt, der Streit könne jederzeit wieder losgehen, oder es ist eine ständig angespannte Atmosphäre zu Hause – für dieses Kind kann die Trennung sogar eine Erleichterung sein.
Allerdings sind Kinder auch traurig, weil sie in der Regel ja beide Eltern lieben. So leiden sie sehr, wenn sie gefragt werden, bei wem sie lieber sein wollen. So eine Frage geht gar nicht! Sie kommen dann in einen Loyalitätskonflikt, der schädliche Auswirkungen auf ihre Entwicklung und ihr Leben haben kann.
Wichtig ist es, in keiner Phase der Trennung die Kinder aus dem Blick zu verlieren. Altersgerecht sollte ihnen die Situation erklärt werden – auch dafür ist Beratung eine gute Unterstützung.
Und das Allerwichtigste ist, sie mit ihren Gefühlen ernst zu nehmen, und es als Eltern auszuhalten, dass diese Gefühle da sind – die Kinder sind jetzt traurig, wütend, verzweifelt, sie haben Ängste, die neue Situation ist unsicher. Eltern neigen dazu, verständlicherweise, diese Gefühle schwer aushalten zu können. Natürlich, wer will denn schon, dass sein Kind unglücklich ist. Aber genau das ist jetzt wichtig. Das Kind hat das Recht, traurig und wütend zu sein.
Für die Kinder ist es hilfreich, wenn sich sonst im Alltag so wenig wie möglich verändert, also Hobbys, Schule, Freunde usw.. Das sind sehr wichtige stabilisierende Faktoren, der Alltag sollte so normal wie möglich sein, auch wenn sich die Situation drum herum sehr stark für die Kinder verändert.
„Eltern neigen dazu, verständlicherweise, diese Gefühle schwer aushalten zu können. Natürlich, wer will denn schon, dass sein Kind unglücklich ist. Aber genau das ist jetzt wichtig. Das Kind hat das Recht, traurig und wütend zu sein.“
GRIPS: Welche sind die wichtigsten Maßnahmen, die die Eltern für ihre Kinder tun können?
ES/AW: Für die Eltern ist es wichtig zu wissen, dass sich die Kinder oft schuldig fühlen. Wenn sie erleben, dass die Eltern sich wegen ihnen streiten – zum Beispiel über die Umgangszeiten – dann denkt das Kind, es ist schuld am Streit der Eltern. In unserer Kindergruppe haben wir schon öfter den Satz gehört: „Wenn ich nicht wäre, dann müssten sich meine Eltern nicht streiten“. Also ist eine der wichtigsten Maßnahmen dem Kind immer wieder – und wirklich immer wieder!! – zu vermitteln, dass es nicht schuld ist!
Damit, dass sich die Eltern nicht gut verstehen, kann ein Kind umgehen, wenn die Eltern Wege der Kommunikation finden, die das Kind nicht belasten. Schwierig für ein Kind ist es, wenn es das Gefühl hat, ständig in einem Spannungsfeld zu leben, an dem die Ursache bei ihm liegt.
„In unserer Kindergruppe haben wir schon öfter den Satz gehört: „Wenn ich nicht wäre, dann müssten sich meine Eltern nicht streiten“. Also ist eine der wichtigsten Maßnahmen dem Kind immer wieder – und wirklich immer wieder!! – zu vermitteln, dass es nicht schuld ist!“
So ist es ebenso wichtig, das Kind nicht als „Postbote“ zu benutzen. Abmachungen sollten immer unter den Eltern getroffen werden – auch dafür ist Beratung eine gute Unterstützung.
Natürlich ist es gut, Kinder in Entscheidungen altersgerecht mit einzubeziehen. Aber nicht in Entscheidungskonflikte!
Richtig schädlich für die Entwicklung ist es, wenn die Eltern mit dem Kind schlecht übereinander reden. Sätze wie „das ist mal wieder typisch für deine unzuverlässige Mutter“ und ähnliche verletzen das Kind. Es ist immerhin das Kind beider Eltern und liebt sie beide. Es tut dann einfach richtig innerlich weh, so, als ob ein Teil in ihnen schlecht gemacht wird.
Besonders Beziehungen wie zu Großeltern, Tanten, Onkel, anderen Verwandten, engen Freunden, sind für Kinder in allen Phasen der Trennung resilienzfördernd. Sie können Halt und Beständigkeit bieten, gerade wo es sich zuhause so unsicher anfühlt.
Sehr empfehlenswert ist für getrennte Eltern der KIB (Kind im Blick Kurs), der berlinweit in vielen EFBs angeboten wird. Und wenn der Streit in der Familie sehr heftig ist, gibt es das Programm „Kinder aus der Klemme“.“
„Richtig schädlich für die Entwicklung ist es, wenn die Eltern mit dem Kind schlecht übereinander reden. Sätze wie „das ist mal wieder typisch für deine unzuverlässige Mutter“ und ähnliche verletzen das Kind. Es ist immerhin das Kind beider Eltern und liebt sie beide. Es tut dann einfach richtig innerlich weh, so, als ob ein Teil in ihnen schlecht gemacht wird.“
Das ganze Interview ist im Materialheft zu „Woche – Woche“ veröffentlicht, was es zum kostenlosen Download ab der 8.11.24 auf grips-theater.de gibt (bitte ganz nach unten scrollen). Hier gibt es auch einen Überblick über alle Berliner Beratungsstellen und Hilfsangebote, eine umfangreiche Literaturliste sowie pädagogische Angebote und Anregungen für den Unterricht.
Beratungsstellen Pestalozzi-Fröbel-Haus
Barbarossastraße 64 (Schöneberg)
Beratungsstelle Heylstraße 33 (Schöneberg)
Telefon: 0151 727 807 23
familienberatung@pfh-berlin.de