„Von einem Türken lasse ich mir nicht Shakespeare erklären“ – Über Alltagsrassimus

Ein Gespräch mit Yüksel Yolcu und Nizam Namidar

2015 haben wir – anlässlich der Neufassung des GRIPS-Klassikers EIN FEST BEI PAPADAKIS – mit dem Regisseur Yüksel Yolcu und dem Schauspieler Nizam Namidar zu ihren Erfahrungen mit Alltagsrassismus befragt. Das Gespräch führte Stefan Fischer-Fels, der Dramaturg der Neufassung und damaliger Künstlerischer Leiter des GRIPS Theater.

Stefan Fischer-Fels: Es sind 40 Jahre vergangen und meine erste These war: Einen alltäglichen Rassismus gibt es ja gar nicht mehr in dieser Form, wir sind doch mitten in einer multikulturellen Gesellschaft. Ist das wirklich so?

Yüksel Yolcu:  Also, ich habe ein Erlebnis gehabt, das werde ich in meinem Leben nicht vergessen. Und zwar habe ich einmal Shakespeare inszeniert, und da hat ein älterer Schauspieler wütend zu mir gesagt, von einem Türken lasse er sich nicht Shakespeare erklären. Man denkt ja normalerweise: Wir sind doch Intellektuelle, wir sind Kulturschaffende, wir sind die, die so ein bisschen selbstreflektierter sind. Aber das ist leider nicht der Fall. (…)

Nizam Namidar: Auch bei den Kulturschaffenden gibt es das, klar, überall! Die Rollen, die ich zu spielen kriege, sind: „Türke“. Der türkische Vater, der Dönerverkäufer. Wir haben in Deutschland Parteivorsitzende, Minister etc. mit nichtdeutschem Hintergrund, aber, dass einer, der wie ich aussieht – nichtdeutscher Herkunftstyp! -, mal einen Gerichtsmediziner spielt, das kommt im Theater und im Fernsehen kaum vor.

Stefan Fischer-Fels: Yüksel, es gab noch die Geschichte aus einem Theater, in dem du als Ensemblemitglied, als Schauspieler, engagiert warst …

Yüksel Yolcu: Ja, wenn der Inspizient mich auf die Bühne gerufen hat: dann hat der manchmal durchgerufen: ‚Unsere türkische Minderheit bitte auf die Bühne!’. Also weißt Du, das ist so … da ist man machtlos. Es ist verletzend. Man lernt, damit umzugehen. Man entwickelt Antennen dafür und ist extra sensibilisiert. Jeder findet dann einen Weg, eben nicht immer verletzt zu sein, weil es ja nicht sein kann, dass man immer verletzt ist. (…) Manchmal denke ich mir: Wir sagen ja immer, wir sind eine sehr fortgeschrittene, sehr demokratische Gesellschaft, aber die Mehrheitsgesellschaft hat doch sehr starke Regeln und sagt: „So leben „wir“! „Wir“ machen die Spielregeln, und jedem, der hier als Ausländer lebt, sagen wir, du musst dich an diese Spielregeln anpassen, und wenn Du es tust, dann ist es wunderbar; und wenn nicht, dann gibt´s eben ein Problem damit.“

Stefan Fischer-Fels: Man wird nicht als Rassist geboren, aber man wird zum Rassisten durch die Eltern, durch die Sprüche und Verhaltensweisen gemacht. Wie seht ihr das mit den Kindern? Vielleicht sind Kinder ja viel weiter als wir?

Nizam Namidar: Baba Dengiz ist auch nicht so anders als der Herr Müller. Dengiz ist Müller gegenüber auf der Suche, er ist darauf aus, ihn zu gewinnen, zu überzeugen von sich. Aber auch der Baba Dengiz braucht einen Schwächeren, vielleicht einen Araber oder seinen Sohn, einen, den er kleinmachen kann, damit er sich auch gut fühlt. Baba Dengiz ist kein Heiliger, er ist genauso ein Mensch wie Herr Müller auch.

Stefan Fischer-Fels:  Aber im Gegensatz zu Herrn Müller hat er die Neugierde, ihn zu knacken, zu öffnen.

Nizam Namidar:  Ja, er will rein in die Mehrheitsgesellschaft, da will jeder rein. Dengiz klopft sozusagen an der Tür: „Hallo. Moment mal. Ich bin ja nicht anders als du. Ich habe ein Kind, du hast ein Kind. Du arbeitest schwer, ich arbeite schwer. Du warst pleite, ich war pleite. Wir haben dieses Land zusammengebaut, damit wir alle darin leben können. Was hast du denn gegen mich?“ Dengiz will als ein Teil dieser Gesellschaft angesehen werden.

Yüksel Yolcu:Also, ich habe als Kind immer davon geträumt, dass die Menschen eines Tages so weit sind, dass Rassismus gar nicht mehr Thema ist. Heute weiß ich, dass das eine Utopie ist. Ich sehe das Ganze inzwischen so: Wir müssen den Zusammenhang zwischen Rassismus und der persönlichen Geschichte, der Familie, der Erziehung, herstellen. Ein Mensch muss eine Nähe zu sich selbst haben. Das sind sehr komplizierte Themen…

Nizam Namidar: Es liegt auch an der Erziehung der Bevölkerung. Ich habe für die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radioanstalten (RBB und WDR) gearbeitet. Und meine persönliche Beobachtung von ARD und ZDF, die ja von den meisten Menschen in diesem Land gesehen werden, ist: Bis vor Kurzem war es so, dass die Bösewichte meistens Ausländer waren, wenn überhaupt Nichtdeutsche in diesen Geschichten vorgekommen sind. Das hat sich in der letzten Zeit zu ändern angefangen. Was soll diese Mehrheitsgesellschaft, diese rein weiße deutsche Gesellschaft – erzogen von dieser Berichterstattung, solchen Filmen – davon halten? Was bleibt bei ihr hängen? Bei solch einer Erziehung kann man nichts anderes erwarten als „Pegida“. Überall herrschen Krieg und Verfolgung, in Syrien, im Irak und in afrikanischen Ländern; und wenn man dann in den Nachrichten von soundso vielen Flüchtlingen, von Lampedusa und was weiß ich was hört, dann denken die reinen, weißen, deutschen Menschen: „Oje, wir haben unsere Idylle hier und das geht jetzt kaputt“. Dann kommt diese Abwehrreaktion.