Über das Entwickeln eines Kinderstücks mit einem diversen Ensemble

Regisseurin Sabine Trötschel und Autor Erik Veenstra im Gespräch

SABINE TRÖTSCHEL ist freie Theatermacherin mit Arbeitsschwerpunkt an der „theaterwerkstatt hannover“. Sie ist international als Regisseurin, Schauspielerin und Festivalorganisatorin tätig. Immer spielt das Theater für Kinder dabei eine gleichberechtigte Rolle neben den gesellschaftspolitischen Arbeiten für den Abendspielplan. Am GRIPS inszenierte sie die „VIER“-Reihe für die Allerkleinsten und zuletzt „Zum Glück viel Geburtstag“. ERIK VEENSTRA ist DJ, Producer und Sound Designer und Mitglied in verschiedenen Berliner Musik- und Kunstkollektiven, u.a. bei kollektiv:proton. In diesem Rahmen entstanden bisher drei Arbeiten im brandenburgischen Luckenwalde, zum Beispiel eine performative Tour mit Audioinstallationen im dortigen E-Werk. Er arbeitet seit über zehn Jahren in verschiedenen Bereichen des GRIPS Theaters, u.a. als Operator in der Produktion „Bubble Jam“ von Rimini Protokoll. 

Projektleiterin Simone Kiebler sprach mit den beiden:

GRIPS: Wie entsteht Zusammenspiel auf der Probe?

ERIK VEENSTRA: Ich finde, der Probenprozess ist sehr lustig. Ich bin wirklich positiv überrascht davon, wie viel Spaß wir am gemeinsamen Entwickeln und auch am gemeinsamen Quatsch machen haben. Ich finde, da liegt eine große Kraft in unserem Ensemble, sowohl auf als auch hinter der Bühne.

SABINE TRÖTSCHEL: Das stimmt. Wir haben zum Teil Proben, wo alle Tränen lachen. Das hätte ich so auch nicht erwartet. Wir machen echt viel Quatsch zusammen, das ist gut.

GRIPS: Was ist die Besonderheit, mit zwei verschiedenen Ensembles zusammenzuarbeiten?

SABINE TRÖTSCHEL: Wir haben es mit zwei Ensembles mit zwei Ausbildungsbackgrounds zu tun, die zum ersten Mal zusammenkommen. Das ist unsere Aufgabe, an die ich mich auch erstmal selbst herantasten musste. Ich habe viele Produktionen im GRIPS gesehen, habe aber nicht mit allen Schauspieler*innen gearbeitet, die jetzt in der Produktion sind. Auch habe ich mir einige Produktionen am Thikwa anschauen können, um rauszukriegen, auf welche Art, mit welcher Ästhetik und auf welchem Niveau diese Vorstellungen ablaufen. Ich habe erstmal einen riesengroßen Unterschied zwischen THIKWA und GRIPS im ästhetischen Ausdruck gefunden. Das hat mich erst richtig neugierig auf die Arbeit gemacht.

GRIPS: Wie habt ihr das Stück entwickelt?

ERIK VEENSTRA:  Ich glaube, Stückentwicklung bedeutet für mich, dass ich versuche, an dem, was die Kolleg*innen uns zeigen, ganz nah dran zu sein, und daraus dann Texte zu generieren, an denen man dann feilt, die man anreichert, umstellt und kondensiert. Für mich ist es wirklich schön, ich genieße es total, ein so buntes, diverses Ensemble zu haben, was so viele witzige, tiefgründige, traurige, bedeutsame Sachen macht, von denen ich dann die Ehre habe, mir raussuchen zu können, was mich besonders anspricht und was wir zusammen weiterdenken können. Meine Texte gehen meistens von dem aus, was unsere Kolleg*innen uns zeigen.

GRIPS: Wie genau können wir uns das vorstellen?

ERIK VEENSTRA:  Wir gehen von Improvisationen aus, die wir auf der Probe machen. Das bedeutet dann im konkreten Fall, dass es ein Thema, eine Situation oder auch einen Klang gibt, zu dem die Schauspieler*innen miteinander improvisieren. Dabei entstehen Bewegungen und Sätze, die aufgeschrieben werden. Das alles versuche ich dann in Szenen zu kondensieren, indem ich mir “Miniaturen” rausnehme, die mir gefallen und die ich dann mit Inhalten aus verschiedenen Probensituationen und auch aus meiner Fantasie verdichte. So entstehen schließlich die Texte, die wir auch auf der Bühne sehen werden.

GRIPS: Wie ist das Verhältnis zwischen Improvisation und Anleitung?

SABINE TRÖTSCHEL: Anleiten und Improvisationsflächen zu machen, stellt ja auch implizit die Frage, wer hier die Fäden in der Hand hat. Damit sind wir im Grunde beim Thema ‚Macht‘. Ich habe mich sehr damit beschäftigt, was ich vielleicht in dieser Produktion bewusster mache oder bewusster nicht mache. Abgesehen davon arbeite ich aber tatsächlich genau so, wie sonst auch, worüber ich sehr glücklich bin.

Wir starten BUMM, KRACH, BOING! mit einer ganz klaren Ausgangssituation: unserem Spielfeld. Ich habe mir von unserem Bühnenbildner Klemens Kühn einen Spielplatz im übertragenen Sinne gewünscht – ein Feld, mit dem man spielen kann und zu dem alle gleichberechtigt und niedrigschwellig Zugang haben. Von dort ausgehend gebe ich manchmal nur eine Form oder ein Wort vor und dann geht das Improvisieren los.

Nach einer abgelaufenen Improvisation lasse ich mir häufig von Spielenden die gerade gesehene Szene nochmal beschreiben, bevor wir in die Wiederholung gehen. Und dann wird wieder improvisiert. Ich bin mir sicher, dass manche Leute das komisch finden, dass ich als Regisseurin an dieser Stelle nicht so viel vorgebe, wie es vielleicht andere Regisseur*innen tun. Aber ich versuche eben die Autorisierung aller Beteiligten von Anfang an zu etablieren. Wenn die Spielenden das, was auf der Bühne passiert, miteinander erschaffen und diskutiert haben, kann das ganze Ensemble miteinander agieren, weil sie voneinander wissen, wer auf wen reagiert und was gebraucht wird.

GRIPS: Was braucht ein Theater für Kinder ab 6 Jahren?

SABINE TRÖTSCHEL: Menschen ab sechs Jahren sind für mich als Regisseurin eine Lieblingsaltersgruppe. Es ist ein spannender Moment in jedem Leben, weil die Kinder aus einer Zeit kommen, in der die ganze Welt für sie abstrakt ist und sie ständig alles entschlüsseln müssen. Ich finde, dieses Alter ist wie ein großes “Schwamm-Zeitalter”: Alles wird aufgenommen. Und die Kinder selber sind eigentlich noch in einer Phase der größten eigenen Kreativität und Phantasie. Zusammengefasst: Man kann einfach Kunst für Kinder machen in dem Alter. Gleichzeitig gibt es da noch den anderen Faktor, der das ganze spannend macht: Fast immer fängt in diesem Alter die Schule an. Und damit fangen die Regeln an. Und dann greift das System ‚Schule‘ auf diese Kinder zu. Und somit sind wir auch wieder beim Thema ‚Macht‘, oder ‚Ermächtigung‘, oder ‚Ohnmachtsgefühle‘.

ERIK VEENSTRA:  Arbeiten mit oder für Kinder im Grundschulalter bedeutet, dass wir Kunst machen für Menschen, in deren Leben gerade ganz viel passiert und die zum ersten Mal mit großer Macht und Eindringlichkeit Themen wie ,Ich und die anderen’, ,Ich und die Gesellschaft’ oder ,Ich in Abgrenzung zu dem, was andere Menschen von mir wollen’ aufkommen. Ich selbst hätte in Retrospektive zum Beispiel gerne mal gehört „Es ist cool, dass du nicht stillsitzen kannst.“ Also versuche ich, dass den Kindern in künstlerischer Form mitzugeben.

Das gesamte Interview gibt es hier!

aus: Oana Cirpanu, Line Papendieck: „TheaterPowerPaket“ rund um inklusive, machtkritische Perspektiven für den Unterricht. Ab 2. Juli 2024 zum Download hier im GRIPS-Blog und auf der Produktionsseite unserer Website.
Das Gespräch führte Simone Kiebler, Projektleiterin des Gesamtprojekts „Zusammenspiel“ .


Das Theaterstück „Bumm, Krach, Boing!“ ist im Rahmen des dreijährigen Projekts „Zusammenspiel“ entstanden, gefördert in „pik – Programm für inklusive Kunstpraxis“ der Kulturstiftung des Bundes. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.