Toxische Männlichkeit im Netz – ihre Formen und Auswirkungen

Am 21. März ist es soweit – die nächste Premiere des GRIPS Theaters steht vor der Tür. Das Stück mit dem Titel „Upload Virgin“ beschäftigt sich mit den Themen Onlinekultur, toxische Maskulinität sowie die Suche nach dem richtigen Platz inmitten der ersten Liebe. Eine der Figuren verliert sich im Laufe des Stücks im Internet auf der Suche nach Antworten. Damit ist er nicht allein. 

Gedanken und Wahrnehmungen zu dem Thema aus der Perspektive einer jungen Frau. 

Fast jeden Morgen schaue ich mir als erstes auf Instagram die neuesten Beiträge an. Beim Scrollen fiel mir gestern ein Beitrag der Tagesschau ins Auge: „Influencer Andrew Tate droht Auslieferung“. Mein erster Gedanke: Endlich! Für alle, die Andrew Tate und seinen Fall nicht kennen: Andrew Tate ist ein Influencer, der über die sozialen Medien seine frauenfeindlichen Ansichten teilte. Er gab Tipps, wie man Frauen am besten aufreißen könne. Und er behauptete auch, dass Frauen, die Opfer sexueller Übergriffe sind, selbst schuld seien. Damit hatte er eine Reichweite von über sieben Millionen Followern.[1] Inzwischen ist er von Plattformen wie Instagram und TikTok gesperrt worden, aber seine Bekanntheit nahm davon keinen Schaden. Sein Name gehört zu einem der meistgesuchtesten auf Google und mit seinen frauenfeindlichen Ansichten steht er weiterhin nicht allein in unserer Gesellschaft dar. Doch seine misogyne Weltanschauung ist nicht das Einzige, was ihn ausmacht. Gegen den britisch-amerikanischen Staatsbürger liegt ein von Großbritannien erwirkter europäischer Haftbefehl vor. Dort werden Tate sexuelle Übergriffe in den Jahren 2012 bis 2015 zur Last gelegt. Auch Verdacht auf Menschenhandel gehört zu den Anklagepunkten. Diese Vorwürfe weist er alle zurück. Vor einigen Jahren zogen er und sein Bruder nach Rumänien – unter anderem, weil die Strafen für Vergewaltigungen dort milder sind als beispielsweise in den USA oder Großbritannien. Das sagte Tate selbst einst in einem Interview.[2]

Wozu erzähle ich das aber so im Detail? Ich möchte aufzeigen, dass hinter diesem Influencer ein Mensch steckt, für den Gewalt an weiblich gelesenen Personen keine Schandtat ist. Und mit genau diesem Weltbild beeinflusst er die Meinung und Wahrnehmung vieler junger Menschen über die sozialen Medien. Das gefährliche daran: Sobald du dich in einer sogenannten filter bubble befindest, in der dir solche Beiträge mit solchen Aussagen regelmäßig vorgeschlagen werden, ist es schwer, gegensätzliche Meinungen gezeigt zu bekommen. Ein solcher Algorithmus verstärkt ein eingeschränktes Mindset und ermöglicht so gut wie keinen Perspektivwechsel.
Bei jungen Menschen ist dieser Aspekt besonders fatal. Rund 25% der TikTok-Nutzer*innen sind zwischen 10 und 19 Jahren alt.[3]Eine Altersspanne, die geprägt ist von vielen Veränderungen auf physischer und psychischer Ebene. Die Pubertät und Häufung von ersten Erfahrungen sorgen in jungen Jahren für viele Fragen. Häufig traut man sich nicht, mit anderen aus dem eigenen Umfeld darüber zu sprechen, wie der Familie und/oder Freund*innen. Man begibt sich auf Suche im Internet. Dank Anonymität kann man die intimsten Fragen und Themen recherchieren, ohne die Angst vor Zurückweisung oder Schamgefühlen. 

Pick-Up-Artists 

Wenn es dann um Themen wie die erste Liebe geht oder um Erfolg beim Thema Dating, bekommt man schnell Menschen wie Andrew Tate vorgeschlagen. Für solche Geisteshaltungen stehen ebenso Julian Blanc und DonJon. Beide sind sogenannte Pick-Up Artists – kurz PUA. PUA verstehen sich als Verführungs- oder auch Abschleppkünstler*innen. Nicht alle dieser PUA vertreten die Mentalität, dass weiblich gelesene Personen zu reinen Lustobjekten zu degradieren sind, aber ein Großteil dieser Seduction Community tut dies. 

Die Methoden der PUA

Durch verschiedene psychologische Methoden versuchen diese PUA ihren Zuschauern (PUA sprechen vor allem männlich gelesene Personen an) nahe zu legen, wie man am besten eine weiblich gelesene Person „ins Bett bekomme“. Hierfür gibt es verschiedene Vorgehensweisen – die Push&Pull-Methode ist eine der beliebtesten und populärsten. Hierbei wird in einem Moment der weiblich gelesenen Person extreme Zuneigung suggeriert, welche im nächsten Moment durch plötzliche emotionale Kälte wieder entzogen wird. Dadurch soll ein Machtgefüge geschaffen werden, indem die weiblich gelesene Person niedriger gestellt ist, sich aber gleichzeitig noch wertgeschätzt fühlt. Auch der Begriff der Last Minute Resiliance wurde maßgeblich durch die PUA-Community geprägt. Dieser beschreibt die Situation, wenn eine Frau und ein Mann kurz davor sind, Sex zu haben, aber die Frau doch noch abbrechen möchte. 
Vorab gesagt: dies ist ihr gutes Recht und auch das von jedem anderen Menschen. Ein Nein heißt Nein und sollte niemals ignoriert werden. 
In der PUA-Community hingegen wird in solchen Momenten empfohlen, der Frau ein schlechtes Gewissen zu machen und sie, durch das Nennen von noch so stumpfsinnigen Gründen, zum Sex zu überreden oder gar zu drängen. Vor emotionalem Missbrauch, Manipulation und aggressiver Übergriffigkeit wird demnach nicht gezögert. 

Die Sprache der PUA

In Foren, wo solche Methoden verbreitet und evaluiert werden, herrscht eine ganz eigene Sprache. Frauen werden mit dieser objektiviert und durch verschiedene Begriffe kategorisiert – UG, zum Beispiel, steht für ein Ugly GirlHB für ein Hot Babe und wenn noch eine Zahl hinter HB steht, steht dies für ihre Attraktivität. Die Degradierung von weiblich gelesenen Personen zu Lustobjekten, das Ignorieren und Marginalisieren von Gefühlen, das gewollte Zerstören von Selbstbewusstsein und das Schaffen von psychologischer Abhängigkeit verdeutlichen die toxischen und frauenverachtenden Strukturen, die hinter der PUA-Community und ihren Ansichten stecken. 

Das Ideal der Selbstoptimierung 

Hinzukommt der Drang zur Selbstoptimierung und -inszenierung, den die PUA regelmäßig ihren Zuschauern dozieren. Demnach steht an oberster Stelle das Antrainieren des charmanten, erfolgreichen und sozial gefestigten Alpha-Männchens. Diese Rolle wollen sie aber nicht nur ausstrahlen, sie wollen es werden. Die Philosophie dahinter lautet, dass Frauen geführt werden müssen, nach Halt suchen und dies nur durch die Dominanz eines Alpha-Männchens gegeben werden könne. Um nun diesen Status eines Alphas zu erreichen, wird die Selbstoptimierung in jeden Bereich ihres Lebens integriert. Am Ende bedeutet dies ein rationales Leben ohne Emotionen (diese wären schließlich nicht männlich) und das Sex reine Triebbefriedigung sei.

Dr. Coach

Angemerkt sei auch noch, dass sogenannte Pick-Up-Artists sich auch gerne als Coaches bezeichnen. Der Begriff Coach ist aber rechtlich gesehen nicht geschützt, weshalb sich in der Theorie jede*r als Coach betiteln könnte. Die Professionalität und fachliche Ausbildung sind somit nicht garantiert. Zudem sind die Programme und Coachings der Pick-Up-Coaches meist mit finanziellen Kosten verbunden. Die Verzweiflung von jungen Menschen beim Thema Dating und Liebe wird hierbei schamlos ausgenutzt. 

Woher nehmen die sich das Recht?

Solche stereotypischen und pauschalisierenden Geschlechtervorstellungen, die in der PUA-Community vorherrschen, einerseits sexistisch sind und patriarchale Strukturen fördern, aber andererseits Frauen und auch Männer in veraltete und unrealistische Rollenvorstellungen zwängen. Der Druck, der hierbei für alle sozialen Geschlechter entsteht, ist allein auf psychischer Ebene ungemein kontraproduktiv. Männer dürfen Verletzlichkeit zeigen! Jeder Mensch darf das und charakterliche Eigenschaften und Fähigkeiten sollten an kein biologisches Geschlecht gebunden werden. 

Ich finde es ausgesprochen frustrierend, wenn ich sehe, wie männliche Pick-Up-Artists zu wissen meinen, was Frauen angeblich wollen, denken und fühlen. Woher nehmen die sich das Recht? Die Antwort darauf ist ganz einfach: Sie tun es einfach, ohne es groß zu hinterfragen. In ihrer Ideologie macht das von vorne bis hinten auch nur Sinn – schließlich wissen sie ja was Frauen wollen, denken und fühlen.

Verantwortungslose Vorbilder

Weiteres Problem: die Vorbildrolle, die die PUA für viele Heranwachsende erfüllen. Zu Anfang habe ich beschrieben, dass 25% der TikTok-Nutzer*innen zwischen 10 bis 19 Jahren alt sind. Ein Alter, in dem viele Fragen auftauchen, wie beim Thema erste Liebe, Beziehung und Geschlechterrollen. Auf all diese Fragen liefern die Dating Coaches und Pick-Up Artists Antworten. Was wiederum für diese bedeutet, schnell Reichweite zu bekommen, da das Interesse und die Beeinflussbarkeit einer der empfindlichsten Zielgruppe gegeben sind. 

Plan International e.V. hat 2019 hierzu eine Befragung mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt[4]. Das Ergebnis der Befragung: je intensiver die Nutzung von Social Media der Befragten, desto konventioneller und stereotypischer waren die Ansichten auf die Rollenverteilung von Mann und Frau. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf Geschlechtergerechtigkeit, sondern kann auch die Gewaltbereitschaft und Gewalt gegenüber weiblich gelesenen Personen fördern. 

Alle Sozialen Medien haben aber Richtlinien, in denen Diskriminierung, Diffamierung und Marginalisierung explizit verboten sind. Da dies aber nicht bei allen Videos und Beiträgen überprüft werden kann, ist es jeder Nutzerin und jedem Nutzer möglich, Beiträge mit solchen Inhalten eigenständig zu melden. 

Die Beeinflussbarkeit von Kindern und Jugendlichen durch Influencer*innen über die sozialen Medien merke ich nicht nur an mir selbst, sondern beobachte ich auch zu Teilen an meinen Freund*innen und weiterem Umfeld. Ich habe das Glück und Privileg in einem Elternhaus aufgewachsen zu sein, indem ich gelernt habe, meine eigene Meinung zu bilden, indem ich versuche verschiedene Perspektiven und Argumente zu einem Thema zu betrachten. 

Mir wurde nicht beigebracht, dass ich mich als Frau dem Mann unterordnen zu habe. Mir wurde nicht beigebracht, dass ich Sex mit einem Mann haben müsse, wenn er es will, selbst, wenn es nicht mein Wille sei. Mir wurde nicht beigebracht, dass ich bewusst andere Menschen emotional zu manipulieren habe, damit sie mich mögen und begehren. Mir wurde nicht beigebracht, andere Menschen zu Handlungen zu drängen, die diese nicht wollen. Mir wurde nicht beigebracht, zu behaupten zu wissen, was das gesamte andere Geschlecht (in der binären Denkweise gedacht) denkt, will und fühlt. 

Mir wurde beigebracht, dass alle Menschen gleichwertig sind, unabhängig von Geschlecht, Sexualität, Herkunft, Kultur, Hautfarbe, Religion, Bildung, Beeinträchtigung, etc. Mir wurde beigebracht, dass ich frei bin, eigene Entscheidungen zu treffen und nur das tun soll, was auch ich will. Mir wurde beigebracht, dass ich gleichzeitig immer auf die Grenzen anderer achten und diese unter keinen Umständen ungefragt übertreten solle. Mir wurde beigebracht: Nein heißt Nein. Mir wurde beigebracht allen Menschen mit Respekt und Offenheit zu begegnen. 

Manche anderen Menschen haben nicht dieses Privileg. Andere bekommen genau dies beigebracht, was ich nicht beigebracht bekommen habe. Andere haben Fragen und finden in ihrem eigenen Umfeld keine Antworten oder trauen sich nicht zu fragen. Andere suchen im Internet nach Antworten auf all ihre intimsten Fragen und gelangen zum Teil an Menschen wie Andrew Tate oder andere Dating-Coaches und Pick-Up Artists. Diese präsentieren ihnen dann ein Weltbild, welches weiblich gelesene Personen verachtet, diskriminiert und marginalisiert. Es sorgt ebenso dafür, dass sie sich selbst ständig versuchen zu optimieren und zu inszenieren und ihr wahres inneres Ich zu verstecken und zu unterdrücken. Denn als Mann soll man angeblich keine Schwäche zeigen. Nur Selbstbewusstsein sorgt für Erfolg. Schwäche und Emotionalität ist was für Mädchen und Frauen. Aber doch nichts für „richtige“ Männer, oder?

Ein Beitrag von Anouk Feldbusch

Weitere Quellen (bzw. Artikel, Beiträge und Kanälen, die ich empfehle, sich ebenfalls anzusehen)

Wolf, Franziska: „Pick-Up Artists entlarvt: 13 Signale, die du nicht ignorieren kannst“

https://www.wmn.de/health/psychologie/pick-up-artists-anzeichen-erkennen-warnzeichen-b-b-id17723 
(Datum der Abfrage: 14.03.2024)

Wolf, Franziska: „Ist Barney Stinson ein frauenfeindlicher Pick-Up Artist?“

https://www.wmn.de/health/psychologie/pick-up-artist-vs-barney-stinson-id16791

(Datum der Abfrage: 14.03.2024)

BRUST RAUS: „So manipulieren Dating Coaches & Pick-Up Artists” 

https://www.youtube.com/watch?v=1PIl-G0Xjtk

(Datum der Abfrage: 14.03.2024)

reporter: „Dating Coaches exposed: Ins Bett durch Manipulation?“

https://www.youtube.com/watch?v=nkDZqPXmjJQ

(Datum der Abfrage: 14.03.2024)

@josischreibt auf TikTok: https://www.tiktok.com/@josischreibt_?lang=de-DE


[1]https://de.wikipedia.org/wiki/Andrew_Tate#:~:text=Auf%20Twitter%20hat%20er%20nach,Ende%202022%20allerdings%20wieder%20freigeschaltet(Datum der Abfrage 19.03.2024)

[2] https://www.blick.ch/ausland/frauenhasser-verschanzte-sich-in-dieser-luxus-villa-lebte-der-verhaftete-andrew-tate-id18188138.html (Datum der Abfrage 19.03.2024)

[3] https://www.mediabynature.de/blog/tiktok-zielgruppe/ (Datum der Abfrage 18.03.2024)

[4] https://www.plan.de/rollenbilder-in-social-media.html?sc=IDQ24100 (Datum der Abfrage 18.03.2024)