Stellungnahme zum zweiten Lockdown

von Philipp Harpain, Theaterleitung

„Kultur und Theater sind neben Arbeit, Bildung, Familie und Freizeit unverzichtbare gesellschaftliche Bereiche, ohne deren Gewährleistung eine freie, demokratische Gesellschaft nicht fortbestehen wird.

Theater geht über den Unterhaltungs- und Erlebniswert weit hinaus, hier werden gesellschaftliche Diskussionen angestoßen, Werte ausgelotet, Konflikte bearbeitet, Zukunft und Utopien gedacht. Es ist ein Ort der Verständigung, des Austausches und ein Motor, der in viele andere Bereiche der Gesellschaft wirkt: in die Schulen, die Familien, die Peergroups.

Trotzdem sind Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und auch der Lockdown notwendig, um ein nicht mehr handhabbares Infektionsgeschehen zu verhindern. In der Pandemie sind wir alle Lernende, die versuchen, mit einer neuen Situation gut umzugehen.

Dabei passieren Fehler und Fehleinschätzungen: Wie fälschlicherweise Kinder in diesem Frühjahr als Treiber der Ausbreitung des Virus zu betrachten.

Diese Fehleinschätzung ist inzwischen revidiert und glücklicherweise wird der Fokus in diesem zweiten Lockdown auf Kinder und Jugendliche gelegt. Es gehört zu den Prioritäten, Kindergärten und Schulen offen zu halten. Diese Entwicklung freut mich sehr und ist ein absolut notwendiger Schritt, um Kinder und Jugendliche gut durch die Zeit der Pandemie zu bringen und zu stärken. Ich bewundere dabei die Erzieher*innen und Lehrer*innen, die das unter den bestehenden Bedingungen mit den Kindern und Jugendlichen sowohl gewissenhaft und verantwortlich wie auch empathisch durchführen.

Die strengen Hygieneregeln, die an den Theatern entwickelt wurden, haben mitgeholfen, die Pandemie nach dem Sommer im Zaum zu halten und trotzdem Theater wieder live vor Ort vor Publikum zu ermöglichen.

Wir haben nicht nur ein begeistertes Publikum hier gehabt, das die Stücke aufgesogen hat, sondern wir haben trotz Abständen und Einschränkungen gezeigt, dass ein lustvolles Theatererlebnis auch unter diesen Regeln möglich ist.

Die Vorstellungen sind aber nicht alles, was die Kinder- und Jugendtheater heute leisten und beitragen. Denn im Theater von Heute ist es eine Notwendigkeit, mit Partizipationsformaten, Beteiligung in Workshops und Fortbildungen, sowie in Projekten, wie den Kinder- und Jugendclubs, zu arbeiten. Kinder und Jugendliche werden beteiligt und selbst zu Kulturakteur*innen.

Auch von den Theaterpädagog*innen am GRIPS wurde die letzten Monate viel getan, um eigene spannende Formen unter Corona-Bedingungen live und digital zu ermöglichen. 
Die Angebote sind auf durchweg positive Resonanz gestoßen.

Über die Notwendigkeit eines Lockdowns zu entscheiden, ist nicht die Aufgabe des Theaters, sondern Aufgabe der Politik. Aufgabe der Politik ist es, sich das Infektionsgeschehen in Hinblick auf die Gewährleistung eines kulturellen Angebots genau anzuschauen und anhand dessen die Lage neu zu bewerten: Was ist angesichts des Infektionsgeschehens in diesem Bereich möglich und verantwortbar. Auch wenn der Kulturbetrieb nicht als Ort häufiger Ansteckung greifbar geworden ist, so kann es bei extrem steigenden Infektionszahlen sinnvoll sein, dass sie ihren Beitrag zur Eindämmung durch Schließung leistet. 
Ich würde mir hierzu einen Expert*innenstab aus Politik und Akteur*innen des Kinder- und Jugendtheaters wünschen. Was sind valide Kriterien und Parameter zur Beurteilung und Entscheidungsfindung.

Was jetzt aus meiner Sicht dringend notwendig ist, ist Perspektiven für das Theater zu schaffen. Und zwar eine mittelfristige, die unter Pandemiebedingungen bis mindestens zu den nächsten Sommerferien reicht, und eine, die die dauerhafte Sicherung der Theater ermöglicht.
Um dies möglich zu machen, ist die Umsetzung ausreichender Finanzhilfen für Kultur, von Solo-Selbständigen bis hin zu Theaterbetrieben, eine Grundvoraussetzung, bei der dringender Nachholbedarf besteht. Eine sofortige Forderung ist die Angleichung der Verordnungen für Kinder- und Jugendtheater mit denen der Schulen und für die Angebote der Jugendarbeit, der Jugendverbandsarbeit und der Jugendsozialarbeit.

Ich appelliere daran, nicht zu polarisieren, sondern weiterhin mit allen Kräften zusammen daran zu arbeiten, diese Pandemie zu begrenzen, zu überbestehen und dazu beizutragen, gesellschaftlich nicht weiter auseinander zu driften.

Wir sollten gemeinsam einstehen für die Interessen und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen auf Grundlage der Kinderrechte und diese in den Vordergrund allen Handelns rücken. Wir als GRIPS versprechen schon jetzt, nach unseren Kräften alles dafür zu tun.“

Berlin, 5. November 2020