Regisseurin Maria Lilith Umbach über das Theaterstück „SELFIE“
Am 20. Januar feiert SELFIE am GRIPS Premiere. Die kanadische Erfolgsautorin Christine Quintana hat mit SELFIE ein Jugendstück geschrieben, das sensibel und eindringlich Fragen „Was ist Einvernehmen?“; “ Wo beginnt Zustimmung? Bei einem Pic, das ich in den Social Media poste? Bei einem Kuss?“; „Ist kein „Nein“ automatisch ein „Ja“? “ umkreist. Im Vorfeld der Premiere führte Dramaturg Tobias Diekmann ein Interview mit der Regisseurin Maria Lilith Umbach. Und auch die Presse war sehr interessiert, untenstehend auch ein Überblick über alle Interviews, die Maria Lilith zu Stück, Thema und Inszenierung gegeben hat.
GRIPS: Welche Aspekte haben dich dazu bewogen SELFIE zu inszenieren?
M.L.Umbach: Nachdem ich das Stück gelesen hatte, habe ich vielen Leuten von „SELFIE“ erzählt und mit Freundinnen über dieses Thema gesprochen – auch rückblickend auf die eigene Jugend. Und es gab tatsächlich mit jeder weiblich gelesenen Person in meinem Umfeld diesen Anknüpfungspunkt, etwas ähnliches erlebt zu haben! Deswegen war klar, dass das Thema auch wichtig für Jugendliche ist.
GRIPS: Wie ist die Arbeit zu einem solch nahegehenden Thema? Worauf hast du geachtet?
M.L.Umbach: Wir sind erwachsen und beschäftigen uns professionell mit diesem Thema. Trotzdem leben wir in dieser Gesellschaft und haben eventuell vergleichbare Situationen aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt. An den ersten Probetagen habe ich versucht, dem viel Raum zu geben und mich auch professionell beraten lassen dazu von Wildwasser e.V.. Es geht im Stück um Grenzüberschreitungen, es gibt den sexuellen Übergriff und auch das Überschreiten anderer Grenzen. Für uns als Team gilt es, aufmerksam zu sein: Wo sind meine Grenzen? Wann ist mir etwas zu viel? Vor den Proben haben wir uns zuerst aufgewärmt, versucht eine positive, wachsame Atmosphäre zu schaffen, uns gegenseitig wahrzunehmen, einen „warmen“ Arbeitsraum zu schaffen. Dieser Raum ist wichtig, weil das Thema soviel Potential für Verletzung hat und die intensive Beschäftigung mit den Figuren auch unangenehm bis schmerzhaft sein kann. Es ist aber auch wichtig, einen Arbeitsraum zu haben, den wir wieder verlassen können, der getrennt ist von mir als privater Person, das macht es einfacher.
GRIPS: Welche Aspekte beinhaltet für dich Consent?
M.L.Umbach: Das ist eine große Frage. In dem Stück wird das Thema auf mehreren Ebenen verhandelt. Immer mit der Frage: Was ist eine Grenzüberschreitung? Wo liegt die eigene Grenze? Ab welchem Punkt wird mir etwas aus der Hand genommen und ich bin nicht mehr handlungsfähig? Wofür braucht es meine Zustimmung? Dabei kann es auch um das Teilen von Fotos und Informationen innerhalb einer Freundschaft gehen. In der Vorbereitung habe ich mich besonders stark mit Consent in Bezug auf Sexualität beschäftigt. Wir werden groß und lernen, dass es nicht sexy ist, nach etwas zu fragen. Sexualität sei ein Machtkampf und ein Eroberungsspiel. Das taucht auch im Stück auf: Das erste Mal müsse weh tun. Das aber ist ein Mythos, mit dem übrigens auch ich aufgewachsen bin. Und jetzt im Erwachsenenalter lese ich ein Interview von einer Sexualtherapeutin, die sagt: „Wenn etwas weh tut und du das nicht willst, wenn es kein verabredeter Schmerz ist, dann stimmt etwas nicht! Wir müssen wirklich umlernen, dass Sexualität Einverständnis, Absprache und Abtasten auf verschiedensten Ebenen bedeutet.
GRIPS: Was wünschst du dir, was SELFIE beim Publikum bewirkt?
M.L.Umbach: Wir müssen vor allem lernen, dass sexualisierte Gewalt nicht nur ein Thema für FLINTA* ist. Im öffentlichen Diskurs sind der Großteil der Menschen, die sich dazu äußern, weiblich gelesene Personen. Wir müssen diesen Diskurs aber auch mit Jungen und Männern führen. Wenn wir es schaffen, dass sie beginnen zu merken, dass es auch etwas mit ihnen zu tun haben könnte, mit ihrem Selbstverständnis, dann ist das ein großer Erfolg. Wenn der Gedanke entsteht: Es ist auch mein Problem, dass so etwas passiert.
GRIPS: Du hast gesagt, dass einem das Konzept von Consent im jugendlichen Alter nicht beigebracht wird. Wie ist der Lernprozess denn bei dir abgelaufen?
M.L.Umbach: Das ist ein ongoing-Prozess. Noch immer. Ich glaube, dass das Consent-Konzept zu lernen andauernd und auf verschiedenen Ebenen stattfindet. Mal in einer Freundschaft, mal auf sexueller Ebene in einer Beziehung. Man bemerkt oft erst, dass etwas falsch ist, wenn die Grenze bereits überschritten wurde. Und dann beschäftige ich mich damit: Wie konnte das passieren? Was daran ist mein Teil? Und dann kann man zeitlich zurück gehen: Wo habe ich dieses Verhaltensmuster gelernt? Du lernst schon als Kind im familiären Zusammenhang, wann eine Grenze von dir akzeptiert wird, wann nicht. Damit meine ich nichts Körperliches oder gar sexualisierte Gewalt. Grundsätzliche werden Grenzen von Kindern in der Familie sehr oft nicht respektiert.
* FLINTA* steht für Frauen*, Lesben, inter, non-binary, trans* und agender- Personen und ist eine Abkürzung für alle Personen, die vom Patriarchat unterdrückt werden.”
Hörfunk-Interviews in den Mediatheken:
Das Thema des Stücks, „sexual consent“ und Grenzüberschreitungen, hat auch großes Interesse bei der Presse geweckt, hier eine Übersicht über weitere Interviews mit Maria Lilith Umbach zu Stück und Thema:
- RBB Radio Eins, Studiobesuch im Bikini, Maria Lilith Umbach im Gespräch mit Marion Brasch (Sendetermin 5.1.22, 20 Uhr)
- Deutschlandfunk KULTUR, „Rang 1“: , Maria Lilith Umbach im Gespräch mit Dr. Alexander Mumot (Sendetermin 8.1.22)
- RBB KULTUR, „Couragiert unterwegs“: Maria Lilith Umbach und Christina Richter im Gespräch mit Regine Bruckmann u.a. über #metoo und das neue Sexualstrafrecht (Sendetermin 9.1.22)
- RBB Radio Eins: Live-Interview (Sendetermin 18.1.22)
- RBB Kultur: Live-Interview (Sendetermin 19.1.22)
- Deutschlandfunk Corso: Vorbericht von Oliver Kranz (Sendetermin: 20.1.22, 15:05 – 15:35 Uhr)
Maria Lilith Umbach ist Theaterregisseurin und Künstlerin. Sie studierte Theaterregie an der HfMT in Hamburg. Während dieser Zeit entstanden
u. a. die Produktionen »LENZ« (eingeladen zum OUT NOW Festival 2010) und »Mondgesicht – Poem für Hannelore Kohl« (Gewinner des Nachwuchs- förderung Publikumspreises des »150 % made in Hamburg« Festivals 2012). Sie ist aktives Mitglied beim Kollektiv »cobratheater.cobra« und war an der Konzeption spartenübergreifender Aktionen in ganz Deutschland beteiligt. Dazu kommen seit 2014 Projekte im öffentlichen Raum und Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen, u. a. für die Uferstudios Berlin. 2017 inszenierte sie »NASSER #7Leben« am GRIPS. Die Produktion wurde für den Amadeo Antonio-Preis und IKARUS 2017 nominiert und gewann den Brüder-Grimm- Preis des Landes Berlin 2017. Nach »Das Nacktschnecken-Game« von Kirsten Fuchs, ist »SELFIE« ihre dritte Arbeit fürs GRIPS.
Headerfoto: ©David Baltzer_bildbuehne