Corona – Zeit für Brieffreundschaften

Zweiundzwanzig Texte, zu Beginn des Lockdowns entstanden oder endlich aus der Schublade hervorgekramt, kommen hier ans Licht.

Alles fing an mit unseren Treffen in der GRIPS Box zu Beginn des Jahres. Jedes Mal kamen neue Leute mit ihren „Schubladentexten“. Wir tauschten Inspiration gegen Eindrücke und machten die Worte zu kleinen Inszenierungen.

Dann kam Corona und wir mussten umdenken. Wir kamen auf die Idee, Brief- und Mailfreundschaften zu verlosen. Man schickte seinen Text also, egal in welcher Form, an eine fremde Person und tauschte sich dann gemeinsam darüber aus. So konnten wir das Projekt auf eine andere Art weiterführen. Teilnehmer*innen beschrieben es später auch als eine Art „Kreativtankstelle“ oder „ein bisschen Nervenkitzel in einer seltsamen Zeit“.

Aber tanken Sie doch selbst. Und wer weiß, vielleicht werden Sie ja inspiriert? Sollten Sie das Bedürfnis haben, einen Schubladentext zu teilen oder zu schreiben, schreiben Sie ihn doch gleich an freiraum@grips-theater.de 🙂


(Johann Heinrich)


Jeden Tag öffnest du nach dem Aufwachen dein Fenster. Jeden Tag scheint die Sonne in dein Zimmer und du hast nicht mal genügend Zeit, sie dabei länger als 50 Minuten zu betrachten. Jeden Tag isst du dein Frühstück, putzt deine Zähne und gehst zur Arbeit. Du vergisst nie deine Aufgaben, weil sie alle Sinn machen. Oder scheinbar Sinn machen. Damit du am nächsten Morgen das Fenster in deinem Zimmer öffnen kannst und die Vögel hörst und die Sonnenstrahlen betrachtest.
Was, wenn du nach 7704 Tagen, in denen du jedes mal die Sterne betrachtet hast, sie zum letzten Mal siehst? Und was, wenn du dann wirklich nach ihnen greifen könntest? Würdest du dich trauen, endlich zu sagen, was du wirklich brauchst und willst? Wenn man nach Sternen greift, wird einem ganz warm. Man liegt dann da, zwischen all dem schwarz, wird umarmt und das sternenumhüllt.
Jeden Tag öffne ich die Fenster zu meiner Seele und finde darin: Hoffnung. Hoffnung, das zu sein, was ich bin und zwar in jeder Sekunde des Tages.
Wenn ich die Sonnenstrahlen in meinem Herzen betrachte, sehe ich zwischen schattigen Plätzchen Licht, Wärme, Liebe.
Jeden Tag putze ich meine Oberfläche glatt und versuche etwas zu tun, was Sinn macht.
Und wenn ich heute die Sterne zum letzten Mal betrachte? Macht dann überhaupt etwas Sinn und habe ich das, was ich brauche?

Heute bleibe ich liegen. Ich liege da und werde umarmt (sternenumhüllt).

(Naomi Semma)


Warte mal kurz

Ein Mal kurz krumm werden.
Eben klein sein.
Kurz stumm werden
Eben eins sein.

Kurz den Blick senken,
Innehalten,
Eine Träne verschenken,
Mein Lächeln falten.

Bügeln, glatt streichen, aufsetzen.
Und ein letztes Mal ausatmen,
bevor ich wieder Luft hole.
„Warte mal kurz“

(Lena Huss)


Sätze aus dem Leben

Keine Pflanze bildet zuerst ihre Blüte
x
Ich will sein wie eine Boje
sie lässt sich von den Wellen bewegen
und verliert doch nicht
ihren Standpunkt
x
„ich will keine Probleme haben“
innere Stimme:
„das ist das Problem“
x
Freude,Ärger,Liebe,Wut,Ablehnung,Langeweile…..
Leben ist der Strauß von allem
x
in der Nacht
wenn die Seele erwacht
und alles was groß in Dir ist
Dich in die Arme nimmt …
x
Es kommt nicht darauf an schön zu sein
sondern sich schön zu fühlen
x

Lebensfragment „triffst Du nur das Zauberwort“

ich traf das Zauberwort nicht mehr. Mein Weg der Musik und die Suche nach der vollendeten Bewegung kam mir schal vor.In mir das Gefühl einer Ödnis, das Hamsterrad von Arbeit,Wochentagen, von soviel schon erlebten Dingen, dieses Gefühl von Stillstand und Leere
von Suche und nicht wissen wo-
dieses Gefühl hatte ich schon mehrere Jahre
es war kein schwarzes Tor, was man schnell durchschritten hat,
es hieß ja auch Wechsel JAHRE.
Den Weg durch die Wüste aushalten ohne
zu wissen wo die Oase liegt
der Weg kann falsch sein
der Weg des „Nicht wissen wo lang „
vielleicht ein Kreis der nie in der Oase ankommt
dieses blinde Schreiten oder auch Harren
Bewusstes Aushalten ist mutig

vielleicht ist der Kreis aber auch eine lohnende Spirale

(Katharina Freytag)


Un-gemein

Lasst uns gemeinsam über Grenzen gehen
Lasst uns dahinter stehen
Und dahinter sehen
Was wir nicht verstehen

Lasst uns gemeinsam über Grenzen schreiten
Lasst uns Frieden verbreiten
Und über Kleinigkeiten
Nie mehr streiten

Lasst uns gemeinsam über Grenzen gehen
Lasst uns die Sicht verdrehen
Lasst alles offen stehen
Lasst uns alle durchgehen

Lasst uns gemeinsam über Grenzen schreiten
Lasst uns hinüberreiten
Und das Reiten verbreiten
Für bessere Zeiten

Lasst uns gemeinsam über Grenzen treten
Lasst uns alle beten
Alle wunden und verdrehten
Däumchen kneten

Lasst uns gemeinsam durch Grenzen brechen
Lasst uns die Zöllner bestechen
Und uns endlich rächen
Für ihre Verbrechen

Lasst uns gemeinsam unsere Grenzen testen
Uns tagelang mästen
Uns neu erfinden in Resten
Und unsere Umwelt verpesten

Lasst uns gemeinsam Grenzen markieren
Lasst uns aufmarschieren
Und reklamieren
Wir wollen selbst produzieren

Lasst uns gemeinsam Grenzen errichten
Lasst uns zur Einheit verdichten
Parasiten vernichten
Und gemeinsam verzichten

Lasst uns gemeinsam Grenzen markieren
Sie neu definieren
Und endlich kapieren
Wie wir Schutz garantieren

Lasst uns gemeinsam Grenzen setzen
Lasst uns weniger hetzen
Lasst uns einander schätzen
Lasst uns vernetzen

Lasst uns gemeinsam

(Friederike Mertin)


Distanzen

Abstand halten ist aktuell die Devise,
soziale Distanz als gelobtes Rezept,
als Weg aus dieser Krise.
Doch ist dies das richtige Konzept?

Sozial sein heißt sich solidarisch zeigen,
und das müssen wir weltweit!
Nur physische Distanz sollen wir uns aneignen –
unmöglich, wenn ihr in einem Zelt seid.

Daher lasst uns die Lager evakuieren!
Willkommen! Wir hätten euch vermisst.
Lasst und gemeinsam eine Zeit anvisieren,
in der vor allem ein Lachen ansteckend ist.

(Lea O. Hildebrandt)


Wirre Gedanken aus dem Bildungsurlaub

Angenehme Nebeneffekte
Jemand klopft ans Fenster meiner Erdgeschosswohnung. Oma bringt mir Muffins. Da hat sie aber Glück, dass ich zufällig zu Hause bin. Wir quatschen noch ein bisschen. In kürzester Zeit habe ich sechs der Muffins aufgegessen. Hätte es nicht andersherum laufen sollen? Ich nehme mir vor, ihr auch mal einen Kuchen und ein Lächeln vorbeizubringen. Andererseits war es finanziell schon richtig rum so.
Wir sind froh, dass Uroma schon vor einigen Wochen gestorben ist und diese Zeit nicht in Einsamkeit miterleben muss. Der Tag ihrer Beerdigung war ungefähr der einzige Januartag gewesen, an dem die Sonne strahlte. Nun lässt sie sie für uns strahlen.
So kann ich mich zumindest täglich zu einem langen Sonnenspaziergang motivieren. Damit ich nicht nur zu Hause sitze und esse, sondern auch mal aus der Jogginghose rauskomme.
Jeder Tag sieht aus wie ein Osterspaziergang einer Horde Überambitionierter auf Zeit. „Joggen ist nicht verpflichtend!“ und „Es macht Sie nicht krank, sich mit einem Lächeln anstecken zu lassen“, möchte ich ihnen hinterherrufen. Aber wer wegschaut, hört vermutlich auch weg.
Eine vierköpfige Familie kommt mir entgegen. Der Junge zupft an Papas Jacke: „Papapapapa, können wir heute einen Familienfilm gucken? Paapaaaaa, können wir heute einen Familienfilm gucken? Können wir einen Familien…“ – Papa ist mit Mama im Gespräch – „Film guckeeeen? Können wir-“ – „Neeeiiiinn“, brummelt Papa nun, „wir können uns doch eh nicht einigen.“ Der Junge lässt die Jacke los. Enttäuscht kickt er einen Stein vor sich her.
Ein verbreitetes Dilemma. Ich kann mich ja schon ohne Familie nicht mit mir auf einen Film einigen. Letztlich lande ich doch wieder bei einem alten Fernsehkrimi.
„Ich muss eingestehen: So eine alltägliche soziale Interaktion, die hat schon erstaunliche angenehme Nebeneffekte“, sagt der Pathologe in Minute 53. „Recht hat er“, denke ich. Bzw. sage ich. Nach einigen Wochen in der Isolation haben sich meine Selbstgespräche auch auf Gespräche mit Objekten und fiktiven Charakteren ausgeweitet. Bisher antworten sie zum Glück nicht.
Ich habe vorher schon viel Zeit allein verbracht. Ich brauche meine Alone-Time. Die nehme ich mir ohnehin schon so viel, wie ich brauche. Und jetzt bekomme ich noch mehr davon? Das war so nicht geplant.
Was sehnt man sich nicht so oft nach Zeit für sich. Aber zu viel will man davon dann auch nicht. Und schon gar nicht verpflichtend. Aus der Gewohnheit der Produktivität heraus haben wir den Drang, Pflichten zu erfüllen und Aufgaben abzuarbeiten. Unser täglich Stress gib uns heute. Keine Erlaubnis zum Nichtstun. Dabei ist genau das, was wir brauchen. Innere Stille und Ruhe, die Aktivität ausgleichen. Ohne Bewegung fällt man jedoch in die andere Richtung aus der Balance. Der Mensch braucht Herausforderungen. Und andere Menschen. Die wiederum selbst ja oft Herausforderung genug sind.
Das Verfolgen selbst gesetzter Ziele verläuft meist recht witzlos. Da dachten wir, endlich haben wir alle Zeit für den Frühjahrsputz und für das Sommerfigurtraining. Aber der Plan geht nicht auf. Es kommt schließlich eh niemand zu Besuch und unseren Waschbrettbauch würde auch keiner sehen.
Und so verlaufen wir uns in unseren eigenen Gedanken.

Trotzdem trete ich mir jeden Tag in den Hintern, irgendwann nach 10 Uhr, um wenigstens etwas Struktur in meinen Bildungsurlaub zu bringen. Und stehe dann täglich mit meinen Gedanken Kopf. Die Handstände werden immer besser. Perspektivwechsel für die Balance.
Ohne Begegnungen funktioniert unser Leben jedoch nur bis zu einem gewissen Grad. Obwohl wir eine individualistische Gesellschaft sind, die an allen Ecken Disziplin und Eigenmotivation erfordert, ist unsere gesunde Balance nur in und mit Gemeinschaft erreichbar.
Oft dachte ich, der Weg zu innerer Balance kann allein Alleinsein sein. Allein werden wir aber einfach nur irre.

(Anaïs Scheel)


ein kleiner Abstand

prickelnd auf der zunge
ein unbestimmter abstand zum mund
meine eigene haut klafft offen
sie schafft
in ihrer eigenart verwirrung
spiegelt dich nicht
denn sie ist wund
in der mitte stäubt sich das gefälle
vor dem plus dem quantensprung
er hält zusammen was ihn ausmacht
verrät dir sicher nicht
woher er kommt
die masse schürt sich fest
vor einer schwelle
fragt nicht danach
wovor sie steht
kaum sichtbar aber groß
die abgekarbte stelle
an der sich wendet was sich selbst verneint
oben angekommen prickelnd
erscheint nun benommen
ihre übersetzung

(Emma Scharff)

Worstpiel

Ich habe so etwas noch nie gemacht. obwohl es mir doch schon so viele empfohlen haben. Vielleicht hatte ich nie den Mut dazu aufzuschreiben was in meinen Gedanken vorgeht, hatte angst ich scheitere oder war einfach nur zu faul. Kennst du das, wenn es sich in deinem Kopf anfühlt wie ein Meisterwerk Picassos doch die Worte bilden nur ein Strichmännchen. Als ob die ganze Vielfalt in dir verborgen bleibt. In meinem Kopf ergibt alles einen Sinn doch greifen kann ich es nie. Was nützt mir dann mein Kopf. Viel zu oft denke ich viel zu viel nach. Einige sagen, dass Overthinking und in etwas hineinsteigern einem nicht gut tut. Stimmt. Ich tue es trotzdem. Es fühlt sich intensiv an, manchmal gut und manchmal schlecht. Jedes mal, wenn mein Kopf etwas begreift was mein Leben total verändern komme, versuche ich es aufzuschreiben, doch auch dann beherzige ich es nicht immer. Wandel in die gewünschte Richtung geschieht nur langsam. Ist mein innerstes getrennt von der Wirklichkeit? Das alles scheint so nah, direkt in mir und doch so weit weg. Oder ist es nur eine Lektion für mich zu lernen, dass Wandel Beständigkeit braucht?

(Gustav Mebs)


Die Bäckerei

VieDiKü,
VieDiKü.
Je zwei Reihen —
SEIN!

Oder ist oder soll?
Ohne Groll.
Räum ein,
Räum um:
HeiRogVo,
HeiHeiRogRogVoVo-
Je zwei.

JETZT! Rechts -o ben.
Ich wissen schon, schön.
Das Horn, Die Hörner,
Das Korn, Die Körner,
Nebenbei:
KäseLos(E)Rosinen, RosinenLos(ER)Käse?
KÄSE
LOS
ROSINEN
minus eins!
Nur zwei je sei!
Zuletzt steht noch:
SchokiCaMil(LE)
SEH! –
Je zwo, zwi, zwe!

KUNDE:
Was darf’s sein?
Das macht dann:
3 unddreißig plus Eins!
RatschBumKling
Aufwiedersehen!

(Lys Klose)


Gefühle in den Fingerspitzen

Manchmal reichen die Worte einer Sprache nicht aus, um zu beschrieben was ich ausdrücken will und was ich tatsächlich fühle.
Teilweise reichen nicht einmal meine eigenen Worte aus.
Ich brauche mehr Worte. Neue Worte vielleicht sogar.
Doch das reicht nicht aus. Oder würde zumindest nicht ausreichen.
Ich brauch Rhythmen, Bilder, Augenblicke und Momente.
Ich fühle mit den Fingerspitzen.
Gefühle nur mit Worten auszudrücken ist genauso unmöglich wie sie nicht zu zeigen.
Man kann nicht, nicht kommunizieren. Paul Watzlawick
Gut, aber ich kann auch nicht genau das sagen was ich wirklich meine. Ich kann argumentieren, diskutieren und jegliche Debatte führen.
Aber
Ich kann meine Gefühle nicht artikulieren.
Wir fühlen alle anders. Wir nehmen alle anders wahr. Und konnotieren alle Worte anders.
Diese Tatsache ist eben so erfrischend wie auch erniedrigend.
Denn es bedeutet, dass wir individuell sind, aber auch allein mit unseren Gedanken. Wir alle wissen was Leid, Kummer und Schmerz bedeutet, genauso wie auch Freude, Zufriedenheit und Gelassenheit.
Wir alle kennen Definitionen.
Definieren jedoch unterschiedlich.
Oder zumindest fühlt es sich manchmal so für mich an.

Vielleicht verstehst du das nicht. Vielleicht verstehst du mich nicht.
Aber das ist in Ordnung, denn ich verstehe so viele und so vieles nicht.

(MaiB.)


(Carlotta Rubin Stolting)


Weltschmerz

Es tut mir weh.
Jeden Tag,
tut es mir weh.
Es schmerzt tief und immer tiefer,
umso mehr ich hinschaue.
Es wird nahbarer und immer näher,
umso mehr ich wegschaue.
Ich kämpfe,
doch kämpfe ich allein?
Umso mehr ich gebe, umso tiefere Wunden tun sich auf,
Wunden, die kaum zu Narben werden können.
Sie werden bleiben und nur mühevoll abheilen,
doch dazu kommen sie kaum.
Bis dahin werden neue Messer und Schlagbohrer und Bomben einschlagen und ich frage mich,
sehe ich hin?

Liebe Erde, Liebe Heimat,
Ich esse deine Tiere nicht.
Lasse deine Blumen wachsen und bemühe mich
meine Sachen, länger als nur eine Saison zu tragen
auch wenn ich dann vielleicht nicht mehr so cool bin,
aber damit bin ich cool.

Ist es ein Verzicht, fragst du mich
verdammt nein, ist es nicht.
Ich möchte eine Zukunft haben,
ohne Masken Luft einatmen,
und Blumen, Gräser und Wälder bestaunen
also die echten
Nicht die, die auf Bildschirmen ablaufen.
Erinnerungen, an die gute alte Welt,
die wir zerstört haben:
mit unseren Flugzeugen und Atombomben,
Chemikalien und Weltallsonden,
mit Methan pupsenden Kühen,
die keinen Schritt vor der anderen rühren,
weil sie keinen Platz haben, um sich zu bewegen,
und jetzt laufen wir im Winter durch den Regen,
weil keiner Schnee mehr fällt,
und Trump den Klimawandel für Humbug hält.
Die Länder sich bekriegen,
weil alle wollen sie siegen
doch was ist der Preis?
Trubel, Terror, Traumata?
Rassistische Werte, Schubladendenken.
So werden wir gemacht.
Medien steuern unsere Gedanken,
ohne dass wir es merken.
Corona- Virus überall.
Spannend zu sehen, welche Maßnahmen die Politik ergreifen kann,
wenn es sie plötzlich selbst betrifft.
Quarantäne, Nachrichten über Nachrichten. Sicherheitsanweisungen.
Wo bleibt dieser Fokus bei den anderen Themen dieser Welt,
frage ich mich.
Und sicherlich alle anderen,
die Tag für Tag hoffen, dass ihr Neugeborenes überlebt,
weil es dort wo sie wohne kaum sauberes Wasser gibt.
und Krankheiten zum Alltag gehören.
Da ist Corona wohl nur eine Sorge mehr.

Also wenn die da oben, ihre pubertäre Egoschiene fahren,
liegt es wohl an uns, die Welt zu retten.
„Muss nur mal kurz die Welt retten“ singt bereits Tim Benzko,
doch irgendwie scheint er sich Zeit zu lassen,
aber ich versehe ihn.
Egal, was ich tue, es ist nicht genug.
Ich trinke keine Milch von fremden Müttern,
trage keine Klamotten,
die von Kindern genäht wurden
und die dafür nicht mehr Geld nähmen durften.
Kaufe keinen Coffee To go
Doch Ich fühle mich schuldig,
wenn ich den Herren, der mich in der U8 um Geld bittet nicht jedes Mal etwas gebe
oder einem von den anderen 20 Obdachlosen, die ich täglich sehe.
Ich fühle mich schuldig mit meinen Unmengen an Plastik,
die ich trotz festem Shampoo produziere.
Mit meinen Bananen, die meist nicht Fair Trade und dann auch noch importiert sind
Mit meinem Handy – das kein Fairphone ist
meinem Laptop, Und ja, ich habe eine Netflix Account
– Massen an CO2 für Streaming Dienste.
Und verdammt, oft benutze ich dann doch noch Google und nicht Ecosia.
So viele Bäume weniger.
Warum, frage ich mich.

Wahrscheinlich weil es müde macht.
Sich zu reduzieren. Und zu belesen. Und zu verstehen. Und anderen zu erklären
– nein warte, sich zu rechtfertigen.
Weil ich verurteilt werde- wofür noch gleich?
Inwiefern schränkt es dich ein, dass ich kein Steak mehr esse?
Freue dich doch, bleibt mehr für dich übrig.
Oder ist es dir vielleicht unangenehm, weil du wolltest, es wäre nicht so?
All der scheiß auf dieser Welt?
Weißt du was, ich verstehe dich
Man würde ja selbst manchmal gerne weniger wissen.
Und nun sticht einem jedes Mal das Gewissen
brutal in die Seite, wenn man sich eine Tafel Schokolade kaufen will.
Selbst wenn sie vegan und Fair Trade ist – aber sicherlich in Plastik eingepackt
und ist da etwa Palmfett drin?
Also dann wohl doch keine Schokolade oder lieber schuldig fühlen?

Ich fühle mich so erschöpft, denn
Es tut mir weh.
Jeden Tag,
tut es mir weh.
Es schmerzt tief und immer tiefer,
umso mehr ich hinschaue.
Es wird nahbarer und immer näher,
umso mehr ich wegschaue.
Ich kämpfe,
doch kämpfe ich allein?
Ich leide an Weltschmerz,
die Krankheit ist gefährlich, denn sie lähmt
und seien wir mal ehrlich,
wir brauchen Veränderung.
Wir brauchen Menschen, die verändern.
Und wenn all wir, die die sich gegen Diskriminierungen, gegen Folter – egal ob Mensch oder Tier- und gegen die Zerstörung unseres Planeten laut machen ,
Plötzlich regungslos werden, dann …
Was dann?
Also mache deine Schritte.
Tip Tap. Tip Tap.
Ganz klein. Ganz zart.
Und dann probierst du mal diese komische Veggi- Wurst und wenn sie dir nicht schmeckt,
dann reduziere vielleicht etwas deinen normalen Fleischkonsum.
Einmal weniger in der Woche bedeutet auch schon weniger Co2
Oder schau mal bei Humana vorbei.
Oder kauf dir einen wieder verwendbaren Kaffeebecher.
Oder lächle der Person ohne Dach über dem Kopf heute einfach mal zu,
schaue ihr in die Augen denn das ist manchmal schon genug.
Und wünsche einen schönen Tag
Denn das Leben bleibt trotzdem wunderschön.
Und wenn er dich dann doch mal heimsucht, dieser Virus, den Weltschmerz meine ich, dann vergiss nicht,
das ist okay.
du bist nicht allein,
Du bist nicht perfekt und vor allem
machst du alles richtig, denn
du fühlst.
Und hast die Augen offen,
bitte, lass die Augen offen!

(Josephina Zarbock)


(ohne Titel)

gelbe Wolken
Lichtverschmutzung
Rauschen auf der Straße
Herzklopfen im Ohr
unangenehmes warm werden
zu warm

heiß
Schweiß
schlaffe Lider
Fieber?

(Nele Burckhardt)


Ich hab Gefühle für dich.
Wie ein unverhoffter Sonnenstrahl im Gesicht, der von innen wärmt.
Ich sag es dir nicht,
hab Angst vor einer weiteren Narbe.
Bin ich doch nicht mutig?
Brauche ich doch niemanden, um meinen Fahrradreifen zu wechseln, mich bei Gegenwind zu unterstützen.
Ich hab Gefühle für dich,
wie für „hurt“ von Johnny Cash.
Ich weiß nicht, was es ist.
Ich hab Gefühle für dich,
aber will nicht klein, schwach, verletzlich sein
Will nicht die werden, die irgendwann primär noch für Sex schön ist.
Ich hab Gefühle für dich,
Ein bisschen wie für Knoblauch. Eine Überdosis hat noch niemandem geschadet.
Aber wieviel schmeckt gerade noch?
Ich sag es dir nicht,
damit ich abends in den Spiegel blicken und noch denken kann was für eine toughe Frau ich bin.
Und innerlich hab ich mich doch längst entschieden den Sprung zu wagen.
Ich hoffe, dass das Wasser tief genug ist, um darin schwimmen zu können.
Schnell, voller Lust und kräftig und stark.

(Anonym)


SPRACH-LOS

Menschen.

Wir würdigen, lieben, bestimmen, verlassen, vergessen
sterben.

Weiß jemand was wir tun?

Menschen

lachen, weinen, streben, leben, trauern, vergessen,
sterben.

Weißt du was du tust?

Ich denke
Metapher

Milliarden Menschen, zu viele Köpfe leer…
Tausende Tropfen im tosenden Meer:

Wellen

Luft
Druck in deiner Lunge
Luft drückt gegen deine Stimmlippen
bis sie sich öffnen
Luft tritt hindurch
verschließt, unterdrückt diese Lippen
und strömt nach oben
als Wellen frei heraus
Hunderte pro Sekunde
Druckdifferenzen
fließen von Lunge zu Mund
und schießen ihn auf:

Heraus kommt ein Laut.
Geformt von deinen Lippen bilden Töne
ein Wort
ein weiteres
und noch eins und noch eins
macht
einen Satz

springt mich an

Weißt du was du passiert?

Dein Druck
erreicht in Wellen
mein Fell
es vibriert
es hämmert

komplexe Signale
treffen einen Nerv
Ich denke

(Amelie Forkl)


Nähe/ Distanz

Fehlt da nicht einfach nur ein n bei Nähe? Und ist das Slang? – Dis=Dieser Tanz

Nähe und Distanz in Bezug zu was; etwas oder jemand.

Nähe hat nicht immer etwas mit der physischen Verortung zu tun. Es ist auch ein Gefühlszustand. Ich bin jemandem nah, der auf der anderen Seite der Welt ist. Im Gegensatz dazu kann ich mich von jemandem distanziert oder eher fern fühlen, der mich im Arm hält. Wie kommt das? Dass dieses Fühlen den tatsächlichen Ort fast belanglos machen kann.
Es ist auf Dauer zwar kein Ersatz, dass ich mich jemandem nah fühle zu dem ich eine große Distanz in Kilometern aufweise, aber ich fühle mich nah, warum? Weil ich diese Person mag, weiß, was sie tut und wie es ihr dabei geht? Trotzdem kann ich sie in diesem Moment nicht in meinen Armen halten. Das schafft Distanz (auf eine andere Art).
Wie beeinflusst Wissen Nähe oder das Nähe-Gefühl? Wie zuvor erwähnt kann Wissen über einen Menschen psychische Nähe zu ihr schaffen. Genauso auch Distanz, wenn man nichts von ihr weiß, oder etwas weiß, aber nicht mit ihr übereinstimmt oder sie unsympathisch findet.
Wobei der letzte Punkt wieder auch das Räumliche beeinflusst, denn wenn ich jemanden nicht mag, ist mein erster Impuls, dass ich Abstand halten möchte, weg will. Auf Dauer kann das jedoch keine Lösung sein. Ich kann nicht jedes Mal, wenn ich jemanden nicht mag, wegrennen. Irgendwann holt es mich ein und ich sollte mir Gedanken darüber machen, warum ich jemanden nicht mag. Ist es Neid, Eifersucht oder einfach ein ungutes Bauchgefühl, was mir sagt, dass da Gefahr droht?Charlotte Hillebrecht

(Charlotte Hillebrecht)


(Maria Illgen)


adaptierte #Solidarität

„Ab heute sind wir
Solidarisch!
Rennen trotzdem
Richtig panisch
All die Discounter und die Märkte ein
Und ‘raiden‘ sie ganz ich-zentriert;
Dass sich gar die Jugend echauffiert,
weil wir alle Läden von Klopapier befreien.

Aber doch,
wir ham‘s gelesen!
Ab heute sind wir
solidarisch gewesen.
Hab sogar Petitionen unterschrieben.
Vielleicht gegen JEFTA; war das nicht liegen geblieben?
Oder fürs Grundeinkommen – bedingunglos –
Denn in Krisenzeiten sind wa‘ hemmungslos.

Da kann man auch ma‘ kräftig
Mit der Faust auf den Tisch ganz heftig
Zuschlagen und sich positionieren –
Die breite Masse: nicht irritieren.“

Auch diese findet Mensch im Netz
Hashtag Solidarität?
Hab‘ ich mich verpetzt;
Dass das nicht richtig geht?
Schließlich erheben wir erst jetzt unsere Stimmen
Da Oma und Opa sich um Corona besinnen.

„Oh; wir sind direkt betroffen“ – es in Europas Raume steht.
Aus Angst „doch noch ’n paar Grenzen schließen,
Massenpaniken auslösen und Ruhe vor dem Sturm genießen“
wird leise das Versagen beteuert: „wir handeln aus Solidarität!“

Dabei sehe ich so gut wie nie mehr
Eine solidarische Haltung hier:
Was war in Hanau? Warum gedenken?
Können wir nicht länger als einen Moment Aufmerksamkeit schenken?
„Wenn wir mehr drüber reden, dann gewinnt er.“
Also medial tot-schweigen? Bringt uns das mehr?
Ich glaube nicht – wir fühlen uns leer.

„Oder warte mal; Was war’n das nochmal für Brände?
Qualmts da wohl noch? Was seit Oktober!?
Meinst der WWF hilft; und die retten Koalas,
Wenn ich hier heldenhaft den Euro spende
Und mich zwecks Rückerstattung später noch an ELSTER wende?“

„Was, es gibt da noch ein Thema?
Ich weiß nicht ob ich das noch kann…
Ich helf‘ so viel und zahle GEMA!
Doch der Gemeinsinn lässt‘s an mich ran…

Man munkelt leise, spricht kaum drüber;
Aber an Europas Grenzen
Sterben täglich schon seit Monaten
Immer wieder Menschen.“

Unsere Welt wird dunkel und noch trüber;
„Hach das ist mir jetzt zu viel
zu schwer und zu traurig zu verdauen.
Ich betrachte das lieber ganz subtil
Ich kann nichts machen; nur bedauern
Und aufrichtig um die Opfer trauern.“

Und so denken wir zum ersten Mal
-also wir, mit westlicher Gesinnung-
Wieder an die Menschen um uns
Nutzen die Zwangspause zur Besinnung.

Es fehlt uns an nichts;
-Außer Mitgefühl –
Auch in diesen Zeiten:
„Wie’s dir geht;
interessiert mich nicht ganz.
Alles dreht sich um mich;
der Rest ist Firlefanz.
Aber klar – falls jemand fragt:
Meinungen können sich spalten,
aber alles in allem versuch ich’s doch;
hab’s bei Corona solidarisch gehalten.“

(Lena Whooo)


(Muriel Leinauer)


Alles ok?

„Alles ok bei dir? Ist alles ok?“, fragen sie. „Ja alles gut.“, sage ich.

Immer wieder die gleiche Frage, immer wieder die gleichen Worte. Warum?
SCHNITT
Alles okay?
SCHNITT
Was erwarten sie für eine Antwort? Was erwarten sie für eine Reaktion?
Wenn das einzige, dass für mich zählt, der Einzige, von dem ich mir diese Frage wünschen würde nicht mehr da ist. Mein Zentrum, mein Kompass, mein Anker, meine Eisscholle im Meer. DU.
SCHNITT
Mit einem kleinen Lächeln auf meinen spröden, ausgetrockneten Lippen, das nicht meine Augen erreicht – und nie wieder diese unüberwindbar erscheinende Entfernung von meinen Mundwinkeln, über meine Backen, über die blauen Ringe bis zu den wieder feuchten Augenwinkeln überbrücken wird- antworte ich: „Ja alles gut“.
SCHNITT
Bloß die Fassade aufrecht erhalten, lass dir nichts anmerken. Zeige niemandem die einzelnen, fragilen und nur dürftig zusammengefegten Scherben, in die du zerbrochen bist. Dein Herz, mein Herz.
Tief durchatmen. Durch die Nase tief ein, bloß das Zittern meiner Unterlippe und das Flattern meiner sich blähenden Lungenflügel ignorieren, öffne den Mund ein Stück und lass die Luft raus. Geschafft und noch einmal. Ein und wieder aus.
SCHNITT
Alles okay?
SCHNITT
Und ich tauche ab.
SCHNITT
Alles okay bei dir?
SCHNITT
Den Rest nehme ich nur noch dumpf, wie unter Wasser wahr. Da ist es also wieder, mein emotionales Loch. Die Dunkelheit ist so verlockend und ich lasse mich fallen. Es ist einfacher so. Die Wirbel ziehen mich immer tiefer und ich lasse mich bis auf den Boden dieses großen Ozeans aus Tränen sinken. Meine Tränen.
SCHNITT
Sie verschleiern langsam meine Sicht und ich muss mich beeilen hier wegzukommen, bevor man sie entdeckt und das trügerische Zeichen mich verrät. Doch zu spät und ich sehe ihn zwischen den Schleiern aufblitzen, diesen mitleidigen Blick. Bloß weg von hier.
Die alten Kopfhörer mit der schlechten Tonqualität, über die sich immer alle bescheren landen mit einer routinierten Bewegung in meinem alten iPod, jedes Mal wundere ich mich aufs Neue, das dieses alte Teil noch funktioniert, wo ich doch nun schon das wer weiß wie vielte neue Handy habe. Meine emotional- melancholische Playlist auf Spotify ausgewählt und es kann wieder losgehen. Die zarte Stimme von Birdy erklingt leise in meinem Ohr und ich drehe sie voll auf.
„Wenn du dich mal schlecht fühlst, leg dich doch einfach mal auf den Boden oder setz dich entspannt hin und fühle in dem Moment einfach mal nur.“, hat mir eine Freundin letztens gesagt. Ich bin wieder zuhause, in meiner Area 51 und das mache ich also nun, wie auch jeden Abend und jeden Morgen, wenn ich alleine in Meine Gedanken schweifen für einen kurzen Moment zu Irene, die immer sagt, dass ich mich zu sehr in so viel reinsteigere und ein kleines Lächeln umspielt für eine Sekunde meine Lippen. Ein kaum zu entdeckendes, unauffälliges Zucken in diesem traurigen Mondgesicht. Sie hat wahrscheinlich Recht, doch dieses Wissen macht es nicht leichter.
SCHNITT
Ich krame mein Handy unter dem Kissen hervor, ein Klick auf die Fotogalerie und scrolle mit schnellen Fingern nach oben. Ich weiß genau, an welchem Punkt ich stoppen muss. Woche für Woche entfernt er sich mehr. Mein Leben geht weiter und doch warten da jeden Abend wieder diese Bilder auf mich. Wisch nach links, wisch nach links, wisch nach links, STOP dort ist das Video, mit den vielen Stimmen, dem lauten Lachen, mein Lachen, das immer alle anderen übertönt hat und das ich schon so lang nicht mehr gehört habe. Mit einem ehrlichen Lächeln in meinem Mondgesicht, das die Augenwinkel erreicht, Bilder eines weit entfernten Momentes. Mein Gott ich war so glücklich. So naiv und scheiß glücklich. Und da fangen sie wieder an, meine Wangen herunter zu rollen und ich merke erst an dem heftigen Schluchzer, der meinen heißen Körper unter der Decke durchzuckt, dass ich weine. Birdy singt nun wieder laut in meinem Ohr und ich fühle und fühle und fühle…
SCHNITT
Ich bin so allein, ich bin allein und einsam. Als du gingst, hast du eine Leere hinterlassen, nun ist ein Loch in mir, etwas fehlt.
SCHNITT
Ich wische weiter durch meine Galerie, bis ich zu dem letzten Bild vor dem großen plot twist in der Geschichte meines Lebens komme. 08. September 2018 steht da.
So entstand also mein blickverschleiernder Ozean. Es fühlt sich an, als ob man andauernd kotzen müsste. Ich will das alles nicht mehr. Das habe ich nicht verdient oder? Warum ich?
SCHNITT
Wenn ich nicht gerade in meinem Bett liege, um ´einfach mal nur zu fühlen´ – nicht, dass das das Einzige wäre, was ich tue – dann mache ich es auf meinem Berg. Der einzigen so großen Erhebung in Berlin, die ich kenne, ein alter Trümmerberg – wie passend, was für eine Ironie – auch Drachenberg genannt. Ich liebe diesen Ort. Hier hat es angefangen und aufgehört, hier hat sich so viel entwickelt und verändert. Positiv wie negativ. Von hier sieht man den Sonnenaufgang über Berlin und den Sonnenuntergang auf der anderen Seite hinter dem Wald. Rauf und runter, jeden Tag. Das ist meine Heimat und hier kann ich nachdenken. Nachdenken, reflektieren und schreiben und dabei wiederum reflektieren und schreiben und so weiter…
„Zeit heilt alle Wunden“, haben sie gesagt und so warte ich nun…
SZENENWECHSEL
Es gibt gute Tage und schlechte Tage. Manche Tage sind schon von Anfang an schlecht und andere fangen gut an und werden erst im Laufe des Tages schlecht.
Manchmal an schlechten Tagen kratze Ich wieder den Schorf auf, den die Wunden hinterlassen haben. Dann mache Ich die traurige Musik an und steigere mich in das Gefühl rein, lasse mich kurz wieder in das emotionale Loch fallen und versinke für einen Moment oder zwei in meinem Ozean aus Tränen. Doch manchmal ist der Fluss aus Tränen bereits versiegt und Ich fühle nur Resignation, Wut, Enttäuschung, ein Aufblitzen von Verständnis für dein Verhalten und manchmal denke Ich einfach nur „Ich verzeihe dir!“. Manchmal scrolle Ich noch durch meine Galerie in Gedenken an die alten Zeiten. Das Video ist noch immer da und wartet darauf, dass ich schwach werde, aber einige der Fotos sind bereits verschwunden. Doch das wird immer seltener und so ist es okay. Es ist okay. Alles okay! Manchmal ist es mehr okay und manchmal weniger.
Monat für Monat entfernt es sich mehr. Mein Leben geht weiter und das ist okay. Die Wunden werden zu Narben und wahrscheinlich für immer hier bleiben, aber sie werden langsam verblassen und das ist okay.
Ich habe dir vergeben denke Ich dann. Ich habe Angst nochmal so verletzt zu werden und so einsam zu sein, Ich bin vorsichtig geworden. Aber Ich habe auch gelernt. Ich bin stark. Vertrauen und Hoffnung haben mir geholfen. Und die Zeit, denn „Zeit heilt alle Wunden“. Ich habe einige der alten Orte gemieden, denn sie waren nicht gut für mich, außer meinen Berg. Der ist meine Heimat und die lasse Ich mir nicht nehmen. Von niemandem, nicht von mir und nicht von dir. Egal wie viel hier passiert ist. Hier hat es angefangen und
aufgehört, hier hat sich so viel entwickelt und verändert – negativ wie positiv – und es geht noch weiter.
Als Ich mich fallen ließ, mir mein Loch grub, als alles vorbei zu sein schien und kein Ende in Sicht war, verlor Ich mich selbst, Ich gab mich auf, mich und die Liebe. Das habe Ich jetzt verstanden. Irgendwann fand ich meinen Anker, der mich wieder nach oben zog. Hinaus aus dem Loch und der Dunkelheit, aus dem nicht endenden Strom an Wirbeln, die mich nicht loslassen wollten und mich stets tiefer hinab zogen. Meinen Kompass. Mit der Zeit fand ich den Weg zu mir zurück, lernte mich selbst zu lieben, meinem Gefühl zu Vertrauen, die Hoffnung nicht aufzugeben und erfand mich selbst neu. Mein Zentrum. Mein neues Ich ist ein stärkeres Ich, ein älteres Ich, ein glückliches Ich. Und Ich bin nicht allein, das war Ich nie!
SCHNITT
„Ja alles okay. Mir geht’s gut.“, antworte Ich heute also mit klaren Augen. Dabei muss Ich lächeln: Ein ehrliches Lächeln, es erreicht meine Augenwinkel, reicht von meinen geschwungenen Lippen über meine Backen bis zu meinen Augen und erstreckt sich manchmal sogar von Ohr zu Ohr. Ein glückliches Mondgesicht. Na wer hätte das gedacht, geht doch.
SCHNITT
Ich klappe mein Tagebuch zu, pausiere die Musik, nehme die Kopfhörer mit der schlechten Tonqualität raus, hebe den Kopf und öffne den Blick für das was mir entgegenkommt. Alles da draußen, so viele Möglichkeiten, dass es mich manchmal überfordert, aber das ist eine andere Geschichte. Die Welt steht mir offen und egal was auch passiert, mich selbst werde Ich dort nicht noch einmal verlieren, so wie damals!
Die Sonne ist mittlerweile untergegangen und es ist dunkel und leise geworden unter mir. Doch es ist eine friedliche Dunkelheit und Ich habe keine Angst vor ihr. Ich stehe auf und mache mich langsam wieder auf den Rückweg hinunter von meinem Berg in den heißen Kessel der Stadt, wo Ich zwischen den brodelnden und umher wuselnden Menschenmassen verschwinden und abtauschen kann, so wie jeder andere anonyme Berliner hier auch. Mit dem Wissen, das Ich nicht nur irgendwer bin, Ich bin Ich und das mit einem ehrlichen Lächeln. 🙂

(08.04.2020, Ilaria Schellinger)


Schreckliche Glücksmomente

Schreckliche Glücksmomente

Die Sonne scheint,
die Wiesen lachen
Zusammen mit der Mohnblume sitzen sie am See
Sie schaut mich zärtlich an
Ich will das sie mir gehört
Ihre Blätter so weich und, obwohl sie nicht beschrieben, so voller Geschichte
Ich lasse sie verwurzelt stehen. Jede Berührung zu riskant. Ich schätze sie so sehr
Ich liebe sie
Die grünen Hälmlein unter mir bedanken sich ironisch
Der Eine oder die Andere bricht unter der Last zusammen
Schmerzerfüllt warten sie meine Glücksmomente ab
Ich rupfe einen Grashalm heraus
Nur zum Spaß natürlich
Ich wusste ja nicht  von dem Käfer, der nachhause wollte
Steil bergauf kletterte er auf ein schmales grünes Hochhaus
Mit letzter Kraft erreichte er sein Ziel
Dann verlor er den Halt unter seinen Beinen und landete irgendwo
Er irrte umher
Davon konnte ich nichts wissen.
Ich dachte nur,
Ich liebe diese Wiese,
Und wie ich so dalag,
Der See vor mir,
Mohna neben mir.
Der Himmel über mir
das Gras unter mir.
Ich dachte an keinen kaputten Halm,
nicht heute
dachte nicht an das Schicksal des Käfers,
auch nicht morgen
Ich kannte es nicht

Ich dachte nicht viel
Es fühlte sich nach Glück an

Ganz weit oben flog etwas,
eine Maschine, oder ein Vogel
Sie sahen die Wiese
Mich sahen sie nicht
Für sie war ich Teil der Wiese,
Nicht mehr, als ein Grashalm,
aber auch nicht weniger

(Clara Freytag)