Volker Ludwig über die Entstehung von Linie 1
„VOLL AUF DER ROLLE war (damals) unser einziges Jugendstück ohne Live-Musik und die uns immer treuen Rockmusiker wurden dadurch, was das GRIPS betraf, arbeitslos. Deshalb versprach ich ihnen hoch und heilig, dass das nächste Jugendstück als Ausgleich ein veritables Musical werden sollte, mit mindestens 18 Songs.“
(aus: Regine Bruckmann: LINIE 1 Fanbook, Eigenverlag Berlin 2011)
“ (…) Ich wollte schon lange mal in einem Theaterstück viele kleine Geschichten statt einer langen erzählen. Als Kabarett-Autor sind mir große dramatische Konstruktionen immer schwergefallen. Ich hatte auch viele kleine Geschichten im Kopf: Ideen, Figuren und Szenen, die aus früheren (zu langen) Jugendstücken herausgefallen waren, weil sie für die Haupthandlung entbehrlich waren. Außerdem war es schon immer mein Hobby, besonders gelungene Dialoge aus alten Reichskabarett-Programmen zu recyceln.
Als dramaturgisches Vehikel war ich schließlich auf die U-Bahn gekommen, ein Überbleibsel des geplanten zweiten Kabarettprogramms, das in einem Zugabteil spielen sollte. Ich hatte auch den roten Faden des ausgerissenen Mädchens im Kopf und einige Hauptfiguren wie Maria und Hermann. Durch das Basteln an Songs kam ich auf neue Figuren wie die Wilmersdorfer Witwen oder den Anmacher. Von dem Moment an, da das Ensemble von der geplanten LINIE 1 wußte, kamen von Schauspielern wie Technikern täglich neue Erlebnisse aus der U-Bahn und besonders der „Linie 1“ dazu. Und nach der Besetzung der Rollen konnte ich einzelnen Schauspielern auch noch Songs auf den Leib schreiben wie Ilona Schulz den „Maria-Song“, Lemmi (Dietrich Lehmann) den Song „Herrlich zu leben“ oder der Rocksängerin Else Nabu „Tag , ich hasse dich“.
So waren zum Probenbeginn im Januar 1986 zwar fast alle Songs geschrieben, aber erst ein Drittel des Stücks. Endlich bei der zweiten Hälfte angekommen, merkte ich, daß alle Solo-Songs in der ersten Hälfte platziert waren, und wollte umbauen, aber da war es schon zu spät: Wenn elf Schauspieler 90 Rollen spielen, findet hinter den Kulissen mehr Theater statt als auf der Bühne; bei jedem fehlenden Song hätte für das halbe Ensemble die Zeit zum Umziehen gefehlt, und die ganz komplizierte Logistik wäre zusammengebrochen. So musste ich die Unausgewogenheit der beiden Hälften in Kauf nehmen. (…)
Heute kann man sich überhaupt nicht mehr vorstellen, wie sehr die meisten Schauspieler an einem Erfolg der LINIE 1 gezweifelt hatten, so groß war der Probenstress gewesen … Weil alle Schauspieler (bis auf die Penner) am Schluß die rote Sonne über Kreuzberg mit dem Rücken zum Publikum erwarteten, merkten sie nicht, wie das Publikum Hunderte von Wunderkerzen anzündete. Desto stärker haute es sie um, als sie sich nach dem Black umdrehten und der nicht enden wollende Jubel ausbrach. Ich habe noch nie so viele Menschen auf einmal hinter der Bühne heulen gesehen, vor Erschöpfung und Glück. (…)
LINIE 1 war der Triumph eines ganzen Theaters: des Ensembles von A wie Thomas Ahrens bis Z wie Petra Zieser, der Regie Kolneders samt Neva, Yoshi und Mathias Fischer-Dieskau, seit zehn Jahren Bühnenbild-Spezialist für unsere Arena, die Bühnenbilder eigentlich gar nicht zuläßt; der Band, die Birgers Melodien nicht nur arrangierte, vermehrte und einstudierte, sondern sich zu einem festen kreativen Bestandteil und Rückgrat des Ensembles entwickelte, und schließlich der gesamten Technik, die eine Aufführung zuwege brachte, die unsere Verhältnisse bei weitem überstieg. (…)“
Aus: „Erinnerungen und Anekdoten.“ Erschienen in: Kolneder / Fischer-Fels (Hg.), Das GRIPS-BUCH. Theatergeschichten. Berlin 1994, S. 216 – 229
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