Die neue Leitung im Gespräch – Teil 2

Wenn die Welt als nicht mehr veränderbar erlebt wird – Die Pläne für die Spielzeit 2025|26

Ein Gespräch über die sich verändernde politische Situation, über das „Jetzt erst recht!“, über eine Welt, die nicht mehr als veränderbar erscheint, über Zukünfte, die es so nicht mehr gibt, über die Auswirkungen auf die junge Generation – und wie das im Spielplan zum Tragen kommt. Das Gespräch führte Anja Kraus (Blogredaktion)

GRIPS:  Seit der Corona-Krise ist die Welt in einem Dauerkrisen-Modus, was denkt ihr, sind die Folgen für die jetzige Generation von Kindern und Jugendlichen und wie wirkt sich das auf eure Spielplangestaltung aus?

Natalie Driemeyer: Wir wissen, dass die Jugendlichen die Welt teilweise als eine nicht mehr veränderbare wahrnehmen, Depressionen und Burnouts sind spätestens seit der Coronazeit ein riesiges Thema. Diese Generation hat keine Sicherheit, keine Wohnung, keine Rente und keine Pause. Dafür Klimawandel, Pflegekrise, Inflation, Wohnungsdruck, Leistungsdruck und ein Bildungssystem, das sie auf eine Welt vorbereitet hat, die es so längst nicht mehr gibt. Der Klimawandel ist omnipräsent, aber niemanden kümmert es, und weltweit kippen die Demokratien, sogar unsere hier so sicher geglaubte ist gefährdet! 
Hier im GRIPS findet man Themen, die mit der Wirklichkeit der Kinder und Jugendlichen zu tun haben. Und diese sind mittendrin in den gesellschaftlichen Veränderungen. Die massiven existentiellen Unsicherheiten haben Folgen für die Psyche. Sowohl die der Kinder und Jugendlichen als auch vieler Erwachsenen. Das Thema „Psychische Erkrankung / Gesundheit“ ist beispielsweise ein Aspekt unserer ersten Premiere am 26. November im Podewil, „KUCKUCKSNEST“ der niederländischen Autorin und Dramaturgin Nina von Tongeren. 

In KUCKUCKSNEST ist so eine ausweglose Situation auf die Spitze getrieben, denn es ist hier die Erwachsene, die den Halt verliert, obwohl sie ihn eigentlich geben sollte: Die Mutter zweier Schwestern ist depressiv und sitzt singend auf dem Dach. Dieses Gefühl der Ausweglosigkeit ist in der Familie angesiedelt und zeigt den Umgang damit. In diesem packenden Kammerspiel begleiten wir die Schwestern Nim und Saffa, wie sie sehr unterschiedlich um ihre Mutter und umeinander kämpfen. Wir nehmen die Jugendlichen auf eine emotionale Reise mit. Das ist die Hoffnung, dass wir mit diesem Stück den Jugendlichen, auch mit den Mitteln des Humors, etwas mitgeben, um raus aus der Lethargie und der Hoffnungslosigkeit zu kommen. Das GRIPS ist ein Ort, an dem sie ihre Themen und Gefühle verhandelt sehen und ins Gespräch kommen können. 

Nina von Tongeren, die Autorin dieses Stücks, ist seit 2022 fest am berühmten „Toneelmakerij“, einem Theater für junges Publikum in Amsterdam. Regisseurin Sabine Trötschel hat zuletzt am GRIPS „Vier zurück“ und „Zum Glück viel Geburtstag“ inszeniert, die Vielfältigkeit ihrer inszenatorischen Mittel fanden wir für dieses anspruchsvolle Theaterstück sehr passend. 

Thomas Keller:   Die nächste Premiere wird am 26. Februar 2026 am Hansaplatz sein und zwar die große Kinderproduktion LAURA WAR HIER von Milena Baisch. Wir sind in den letzten Monaten viel durchs Haus gegangen und haben nachgefragt, was wünscht ihr euch? Und da war unisono der Wunsch, dass wir diese große musikalische und komödiantische Produktion fürs große Haus in einer Neuinszenierung wieder auf die Bühne bringen. 

Winfried Tobias: In Milena Baischs Stück klingelt sich die sechsjährige Laura quer durch ihr Mietshaus, in dem verschiedenste Generationen und Familien leben – und die schaut sich Laura ganz genau an, denn sie hat Ärger mit ihrer alleinerziehenden Mutter. Was uns an diesem Stück besonders gefällt, ist, dass wir davon erzählen, wie eine vielfältige Gesellschaft uns bereichert, und dass es genau diese Vielfältigkeit ist, die unser Leben hier in Berlin ausmacht. Familie ist wichtig! Und gleichzeitig positionieren wir uns eindeutig gegen rückwärtsgewandte Familienmodelle, die inzwischen im politischen Raum wieder eingefordert werden. 

Natalie Driemeyer: 2017 kam das Stück mit großem Erfolg am GRIPS zur Uraufführung, für die Neuinszenierung konnten wir den Regisseur Ekat Cordes gewinnen, der das Stück neu befragt. Seine Energie, Schnelligkeit, Musikalität sowie Liebe zum Detail in den Figuren wird dem Text eine neue Ebene geben. Im Vorgespräch beschrieb er, wie sehr ihn die Musik berührt habe. Das genau interessiert uns für den neuen Blick auf dieses Stück. 
Zudem spiegelt es die Lebensgeschichte vieler Zuschauer*innen, denn 1/3 der Berliner Familien bestehen aus alleinerziehenden Eltern. Familie wird hier größer gedacht als die reine Kernfamilie. 

Sowohl bei der Stückauswahl als auch beim künstlerischen Personal nehmen wir selbstverständlich auch Kontinuitäten des Hauses auf. Menschen, mit denen die GRIPS*innen gerne arbeiten, werden wir weiter ans Haus holen. 

Thomas Keller:   Dazu gehören auch LINIE 1 und AB HEUTE HEISST DU SARA, beide Stücke gehören für uns zum GRIPS-Profil wie überhaupt musikalische und komödiantische Stücke in einer hohen Qualität.

Winfried Tobias: Am 29. Mai 2026 kommt die Theaterfassung von Eva Rottmanns Jugendroman „Mats und Milad – Nachrichten vom Arsch der Welt“ zur Aufführung. Wir konnten für die Dramatisierung und für die Regie wieder Karsten Dahlem gewinnen, der für das GRIPS schon seinen Kurzfilm PRINCESS dramatisiert und großartig umgesetzt hat. Eva Rottmann schreibt tolle Theaterstücke für junges Publikum und auch Kinderbücher, „Mats und Milad“ erschien 2021 und war ihr erster Jugendroman. 

Politische Haltungen, Ausgrenzungen und Vorurteile spielen in das Leben von Mats, der zugezogenen Berlinerin, und Milad, Sohn libanesischstämmiger Eltern, hinein. Neben deren furioser und gleichzeitig fragiler Liebesgeschichte, in die wir reingezogen werden, zeigt die Autorin wie unter einem Brennglas, wie und warum sich Mobbing-Geschichten sowie rechte, rassistische Ressentiments herausbilden, und wie Situationen hochkochen, sich verselbständigen und eskalieren können. Viele der Entwicklungen sind nicht nur dem Umstand geschuldet, dass es in dem Ort eine rechte Szene gibt. Es geht hier generell um die Frage nach dem Platz in dieser Welt, wem bin ich wichtig, wem bedeute ich was, welche Zukunft habe ich in Anbetracht miserabler Zukunftsaussichten? 

Thomas Keller:   Die Frage, die sich dahinter verbirgt, ist die Frage des Selbstbildes und des Selbsterlebens, wer bin ich für andere? Also ein Selbstgefühl, was letztendlich in die Identifikation und in die Selbstsicherheit führt, ein Gefühl, das in unserer Gesellschaft gerade massiv am Erodieren ist. 
Diese Verführung des rechtens Gedankengutes, das funktioniert v.a. um die Zugehörigkeit und die Frage, wer bin ich und wer bin ich nicht. Wenn die Frage, ob ich eingebettet bin und ob mir etwas Sicherheit gibt, wenn das bröckelt und sich nicht mehr erschließt, dann ist das das Einfallstor für die Rechtspopulisten, die müssen nur noch ernten gehen. 

GRIPS: Die Zahl der vorgestellten Premieren ist überschaubar – woran liegt das?

Jutta Brinkschulte: Dass wir nur drei „große“ Premieren mit dem Profi-Ensemble in unserer Spielzeit planen, ist nicht einer Ideenlosigkeit geschuldet, sondern wir wollen erstmal hier ankommen und mit dem gegebenen Budget arbeiten. Die Spielclubs des GRIPS werden weiterhin stattfinden – auch hier bringen wir neue Stücke in Zusammenarbeit mit den GRIPS Werken und der Theaterpädagogik des GRIPS auf die Bühne – sie gehen dann aber nicht ins Repertoire des GRIPS.

Thomas Keller:   Und es hat auch damit zu tun, dass wir erstmal eine Art Bestandsaufnahme machen wollen, seit der Corona-Zeit ging es wirklich immer nur darum, den Kopf über Wasser zu halten. Wir haben ja auch noch ein Repertoire von beinahe 20 Stücken, wozu AB HEUTE HEISST DU SARA und LINIE 1 gehören, die wir selbstverständlich behalten und gut pflegen werden. 

Natalie Driemeyer: Neben den drei Premieren führen wir außerdem neu – mit dem Label „Über den Rand“ – den Austausch mit zwei „Artists in Residence“ ein, um mit ihnen neue Projekte und Ideen zu entwickeln. Das ist zum einen Regisseur Nikita Betekthin, der am Moskauer Theaterinstitut GITIS studiert hat, seit 2023 in Berlin lebt. Seine Produktion „Selbstporträt zwischen Steppe und Wald“, die Deutschen Theater entstanden ist, könnte möglicherweise auch bei uns in der Spielzeit 25|26 gezeigt werden.

Und zum anderen ist es die Berliner Musikerin Sukini, die mit ihren Kinderliedern Politik an den Familientisch und ins Kinderzimmer bringt. Wir entwickeln gerade ein Diskursformat mit ihr, das Kinder ins Zentrum stellt und ein außergewöhnliches Fest für die kommende Spielzeit. Weitere Projektideen mit ihr entstehen.  
Dann nehmen wir uns auch Zeit, die Nachbarschaft am Hansaplatz und die Akteur*innen im Hansaviertel kennenzulernen und uns zu vernetzen. 
Und wir wollen auch hören, wohin das Haus will, sprich unsere Kolleg*innen.
Wir freuen uns auf die gemeinsame Arbeit hier und auf all das, was im Arbeiten für unser Publikum und die Stadtgesellschaft entsteht.