Wie funktioniert Mitbestimmung am GRIPS?

Demokratie macht Arbeit – und Spaß

Partizipation ist am GRIPS Theater gelebte Kultur. Selbst in Zeiten einer Pandemie werden gerade die obligatorischen Neuwahlen für das GREMIUM stattfinden. Dazu hat der Betriebsrat und die Theaterleitung ein ausgeklügeltes Verfahren entwickelt, sodass alle wählbaren Vertreter*innen jetzt auch neu bestimmt werden können. Am GRIPS werden alle Fragen über spielplanrelevante Inszenierungen mehrheitlich in einem GREMIUM mit gewählten Vertreter*innen aus allen Abteilungen des Hauses beschlossen. Das Theater wurde als Ensembletheater gegründet. Jede*r stand/ steht mit großem Engagement hinter der Arbeit und den Stoffen, wozu basisdemokratische Entscheidungsprozesse wesentlich beitrugen. Mit dem Wachsen des Hauses mussten andere Strukturen der internen Mitbestimmung gefunden werden.

Was es mit dem GREMIUM heute auf sich hat, dazu geben Lucie Haardt ( Kulturmanagerin, von 2016 bis 2018 Referentin der Theaterleitung am GRIPS) und Jochen Strauch (Theaterregisseur, am GRIPS inszenierte er Dschabber & #diewelle2020) einen ersten Einblick.

Das Gremium Steckbrief

von Lucie Haardt

Vorname: Das
Name: Gremium
Künstlername: Mitbestimmungsmodell
Geboren am: 7. November 1976 im GRIPS Theater, Berlin
Künstlerischer Werdegang: Mit nicht enden wollenden Vollversammlungen wäre das GRIPS in seiner Anfangszeit beinahe im demokratischen Keim erstickt. Mitte der 70er kommt es zur Gründung des Betriebsrats und in der Folge (nach harten Verhandlungen mit der Theaterleitung) zur Geburt des sogenannten Besetzungsgremiums. Gewählte und ernannte Vertreterinnen aus verschiedenen Abteilungen dürfen über das künstlerische Geschehen im Haus diskutieren und abstimmen.
Heute, über 40 Jahre später, besteht das Gremium aus zwölf Mitgliedern. Sechs sind gewählte Vertreterinnen, vier aus dem Schauspielensemble, die anderen beiden aus der Musikabteilung und aus den Gewerken. Fünf weitere Stimmberechtigte werden von der Theaterleitung ernannt, zum Beispiel aus den Abteilungen Künstlerisches Betriebsbüro, Öffentlichkeitsarbeit, Theaterpädagogik, Dramaturgie und Geschäftsführung. Die zwölfte Stimme gehört der Theaterleitung.
Kompetenzbereich:Entscheidung über die Einstellung neuer Schauspielerinnen, Auswahl der Stücke bzw. der Stückentwicklungen sowie Besetzung der Produktionsteams auf allen künstlerischen Ebenen.
Besondere Fähigkeit: Einfluss auf die wirtschaftliche Gesundheit. Als Privattheater kann sich das GRIPS keinen finanziellen Flop leisten. Künstlerische Entscheidungen stehen dementsprechend immer unter Druck. Angestellte entscheiden über ihre eigene Zukunft und die ihrer Kolleginnen.

Vor dem Gremium
Begegnung mit einer Utopie

von Jochen Strauch

Wann immer wir im Theater von Mitbestimmung sprechen, wird es komplex: Die Utopie eines vollständig hierarchiefreien KunstRaums hat sich zu oft in despotische Realitäten transformiert.
Als würde sich die Sehnsucht nach einem angstfreien Miteinander im ergebnisgetriebenen Produktionsprozess des »Teamkunstwerks Theateraufführung« ermattet zurückziehen – als würden
Verantwortung, Scheitern und Schuld letztlich doch lieber an Autoritäten wegdelegiert.

Ich war gespannt auf das in Berlin real existierende Mitbestimmungsrecht am GRIPS!
Ich hatte das Stück Dschabber des ägyptisch-kanadischen Autors Marcus Youssef entdeckt und Philipp Harpain vorgeschlagen. Daraufhin hatte eine mysteriöse Gruppe namens »Das Gremium« den Stoff offenbar für diskutierenswert befunden. So weit, so mythisch. Quasi Kafka. Natürlich war mir vermittelt worden, dass im Gremium verschiedenste Mitglieder des Theaters, nach einem bestimmten Schlüssel gewählt, Sitze haben – und dass jede geschäftsrelevante Entscheidung von diesem Gremium gefällt wird…

Nach der Entscheidung für das Stück muss nun auch die Regie vors Gremium. »Zum Casting vor Das Gremium« – wäre das nicht ein toller Titel für einen Thriller von John Grisham? In Gedanken
male ich mir eine Atmosphäre wie in Eyes Wide Shut aus, okkulte Zirkel mit geheimen Ritualen…
Ich reise an und werde in einen Besprechungsraum mit ca. 15 Personen geführt. Die Atmosphäre: offen, zugewandt, interessiert, freundlich – und: informiert. Scheinbar hat wirklich jede*r im Raum das Stück gelesen und eine Meinung dazu! Nach einer kurzen biografischen Einführungsrunde sind wir schon mitten in der inhaltlichen Diskussion, und eine Stunde vergeht im Flug. Ich reise ab und werde kurz darauf engagiert.

Ein Jahr später komme ich zur Konzeptionsprobe wieder. Und da sitzt gefühlt das ganze Theater – und bleibt. Wir teilen unsere Gedanken, unsere Pläne. Klar, vieles ist auf unterschiedlichen Ebenen bereits gemeinsam vorbereitet worden. Musik und Musiker mit dem Musikdramaturgen ausgesucht, Text mit dem
Dramaturgen durchgearbeitet, Bühne mit der Technik durchgesprochen, alles, wie man es aus jedem anderen Theater auch kennt. Anders ist aber dieses Gefühl, dass sich das ganze Theater, von der Kasse bis zur Schneiderei, von Anfang an dem Projekt zuwendet und ein gemeinsames, ernsthaftes Interesse am
Stoff hat. Dass sich alle auch diese erste Leseprobe anhören und danach erneut inhaltlich einsteigen. Jobs, die sonst gern an die Öffentlichkeitsarbeit und an die Dramaturgie ausgelagert werden, sind und bleiben hier bis zur Premiere und darüber hinaus Thema eines Theaters in permanentem Austausch.

Eine sehr besondere Erfahrung. Diese Begegnung mit der Utopie, mit dem angstbefreiten und
über weite Strecken auch hierarchiefreien Raum ist für mich beglückend. Natürlich bleibt man als Regisseur der schlussendlich Verantwortliche für den Prozess und die ästhetischen Entscheidungen. Aber: Das Rollenspiel der Funktionen, die man im Arbeitsalltag erfüllen muss, fühlt sich wie spielerisch verabredet an. Und neben den durchaus auch erwähnenswerten Mühen des permanenten Dauerkommunizierens auf allen Ebenen, bleibt für mich die befreiende Erfahrung, dass bestimmte Utopien in die Realität des Theateralltags übersetzbar sind. Demokratie macht Arbeit – und Spaß.


Lucie Haardt, Jahrgang 1986, ist Kulturmanagerin. Von 2016 bis 2018 war
sie im GRIPS Referentin der Theaterleitung.


Jochen Strauch, Jahrgang 1971, ist Theaterregisseur. Seine Arbeiten am Deutschen Schauspielhaus Hamburg eröffnen 2001 das neue Label»Junges Schauspielhaus«. Seine erste Regie am GRIPS war Dschabber 2018.